01. park und sonne

 01. park und sonne


Liebe, Kunst und Schönheit gehören dir, wenn du das Gelbe in deiner Umgebung umarmst. Begrüsse den Tag mit frisch gepresstem Zitronensaft! Stelle einen Krug in den Kühlschrank für jene lustlosen, trägen Nachmittage in unserer dienstorientierten Gesellschaft! Falls der Saft bitter schmeckt wegen des Regenmangels infolge der globalen Erwärmung, füge Honig hinzu!


Verrichte deine Gartenarbeiten am Morgen und sprenge am Abend! Es ist Zeit sich zu bücken und Unkraut zu jäten. Wirf es auf den Komposthaufen! Das wird sich im nächsten Jahr für dich und mich auszahlen. Dünge nach dem Jäten! Bepinkle den Garten zusätzlich, falls das noch nicht geschehen ist! Besonders deine Sonnenblumen werden es dir danken.


Günstigerweise hättest du – wie schon früher von mir empfohlen – eine Reihe von Mary Jane unmittelbar neben den Tomaten gesät. Sie wird Käfer von den Nachtschattengewächsen fernhalten und

dich geistig leistungsfähig halten in der bevorstehenden Hitzeperiode. Während du dir die Zeit vertreibst und dich nicht der prallen Sonne aussetzt, denke über die Lage der Menschheit und deinen Platz darin nach und vergiss nicht, dir eine Portion Eis oder einen Golden Delicious zu gönnen!


Mach eine Pause, um für das kommende Jahr eine Reise zu planen! Da Kenner voraussagen, dass es das Mars-Jahr sein wird, rate ich dir, von jetzt an bis zu deiner Abreise keine Autotouren zu unternehmen, besonders an Sonntagen.


Wenn auch dieses Jahr sehr turbulent gewesen ist, stehen dir zwei weitere Krisen bezüglich Gesundheit, Haushalt oder Liebe bevor, und zwar im Sommer und zur Herbst-Tagundnachtgleiche. So wird dir etwas zustossen. Sie werden nicht schlimmer sein, wenn du versuchst dich damit abzufinden; denn Wechsel ist das einzig Beständige im Leben. Putze deine Zähne täglich mit Zahnseide und zahle regelmässig die Telefonrechnung, um unnötige Unannehmlichkeiten zu vermeiden! Zähle

deine Wohltaten und wisse zu schätzen, was dich umgibt! Feiere deine Verluste! Wie trivial oder wie schwer die Herausforderungen auch sein mögen, oder wie du sie auch immer empfindest, bleib in Kontakt mit der Mutter! Vergiss nicht, wo immer du auch bist, es kommt einzig und allein auf dich an!


Lisa las gerade Oprah T. Eunist, einen Artikel mit praktischen Ratschlägen zu Alltagsfragen und mit geistlichem Rat bezogen auf die Welt und darüber hinaus. Sie hatte den Waschsalon verlassen und ein Plätzchen im Park aufgesucht. Unterwegs hatte sie einige selbst entworfene Flyer an Telefonzellen geklebt und am June-Lädchen angehalten, um einen El-Jay-Fruchtcocktail zu erstehen, ein Vanilleeis, einen Apfel, eine Flasche Sierra-Gold-Mineralwasser, eine Ausgabe der Zeitschrift ‚Sutters Weekly‘

und eine Tüte Erdnüsse für die Eichhörnchen.


In Lotusstellung zwischen den Kamelienbüschen sitzend hatte sie ihre Portion Eis verzehren können, bevor es schmolz und auf die Zeitschrift tropfte, die vor ihr auf dem sich gelb färbenden Gras ausgebreitet lag. Sie öffnete und schloss ihren Mund, wobei sie mit der Zunge schnalzte. Die Eisportion hatte ihre Mundhöhle trocken werden lassen. Sie riss ihren Karton mit dem 100 % reinen El-Jay- Fruchtcocktail auf und beim Futtern starrte sie in die Ferne. Ihr Blick heftete sich auf eine überfüllte Abfalltonne unter einem Zitronenbaum und sie hörte den Morgenzug durch das Grid-Viertel fahren.


Eine Frage kam ihr in den Sinn und sie gab sich dem Flug ihrer Gedanken hin. Schon lange hatten ihre Gedankenspiele sich auf ein unbekanntes Terrain begeben. Die Leichtigkeit des Seins gestattete ihr abzuheben, ein fragliches Gebiet zu erforschen, einen Alternativplan zu entwerfen, die Richtung zu ändern und nach Belieben von neuem zu beginnen.


Wie lange wird es dauern, bis Naturereignisse völlig ausser Kontrolle geraten? Wasser ist knapp,

Energie ist kostspielig. Und jeden Monat ereignen sich Katastrophen: Stürme, Flutwellen, Überschwemmungen, Erdbeben, Lawinen, Orkane, Tornados, Feuersbrünste und Vulkanausbrüche. Gletscher schmelzen. Inseln verschwinden vom Antlitz des Planeten. Menschen müssen evakuiert und Hilfe muss geleistet werden.


Ich frage mich, ob wir über genügend Reservegene verfügen, um uns schnell zu entwickeln. Durch lebenslanges Auf- und Abbewegen der Arme erlangen weder ich noch die nächste Generation die Fähigkeit zu fliegen. Vielleicht geben geklonte Designerkids Hoffnung. Vielleicht könnten mir Geister helfen.


Die verdammten herumschwirrenden Fliegen liessen Lisas Gedankenflug bremsen. Sie setzten sich kurzzeitig nieder, krabbelten herum und flogen wieder auf einen freien Flecken Haut, um den Vorgang zu wiederholen. Lisa wackelte mit einem Bein und einem Fuss, versuchte, sie mit kreisenden Armbewegungen zu verscheuchen und seufzte tief. Ach, wie schwierig, im Paradies zu leben!


Wie meistens wurden diese Insekten durch das Verjagen immer hartnäckiger, so dass sich andere angezogen fühlten, ebenfalls von ihrer Körperflüssigkeit zu probieren. Sie schaute sich um, um die Ursache ihres Eindringens zu erkennen. Es gab in ihrer Nähe weder zurückgelassene Picknickreste noch Hundekot. Daraus schloss sie, dass ihr Parfüm der Auslöser gewesen sein musste. Sie war eingecremt mit Bananenschalenöl, einem bei ‚Big Mona’s Fast Trash‘ erworbenen Schönheitsmittel. Laut Mona war es ein natürlicher Liebestrank zur Erregung von Leidenschaft. Das Etikett riet den Benutzern, ihn nicht gleichzeitig mit einem Honigprodukt zu verwenden und lehnte jegliche Verantwortung

für Missverständnisse zwischen Menschen und der Welt der Insekten ab. Die Warnung hatte Sinn; aber Lisa glaubte, dass die Welt den Fliegen ebenso gehörte wie ihr und dass alle Lebewesen sich dort tummeln dürften, wo sie wollten.


Sie schaute angestrengt auf eine Fliege, die sich auf einen Oberarm gesetzt hatte. Sie blieb so regungslos wie möglich, als sie sah, wie die Fliege herumflog, sich auf ihrer Haut übergab und ihre Körpersäfte mit ihrem flötenartigen Rüssel wieder aufsaugte. Hm. Fäulnis. Es ist organisch. Nachdem sie einen Schluck Fruchtcocktail genommen hatte, kam ihr Gedankenzug wieder auf das Gleis zurück, als der Zug in einen Tunnel fuhr. Wenn nur jeder psychoanalysiert werden könnte!


Menschen verdrängen und projizieren aus dem einfachen Grund: um zu existieren. Es ist schwierig den wahren Grund zu finden. Dies zu glauben heisst, sich an das zu halten. Um herauszufinden, mit welcher Geschwindigkeit ihr Zug fuhr, der weder ankam, noch abfuhr,

setzte sie sich und atmete einmal tief und zweimal kurz ein. Während sie die Atemübung, die sie in einem Stressmanagement-Kurs in der Kommune gelernt hatte, wiederholte, konzentrierte sie die Restenergie im Bereich ihrer unteren Wirbelsäule. Sie begann absichtlich zu schwanken und sang die ersten drei Zeilen eines Volksliedes, wobei sie den Klang in ihrem Kopf mitschwingen liess.


Du bist die eine,

die eine und alles,

die süsse Nummer eins.


Lisa blinzelte angestrengt in die Richtung des Parks und sah die Göttin in all ihrer Pracht in dem Redwood-Wäldchen am äussersten Ende des Parks erscheinen. Sie schwebte in pinkfarbenem und gelbem Gewand und schien zu pulsieren. Bald jedoch überw.ltigte die Natur ihr Nervensystem, und die Erscheinung verschwand. Eine Fliege landete auf Lisas Wange, näherte sich instinktiv ihrer Nasenöffnung und versuchte hineinzugelangen. Sie schnaubte kräftig, um sie fortzujagen und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf eine Handvoll Eichhörnchen, die um sie herumhuschten und sich immer mehr der Erdnusstüte neben ihr näherten.


Sie wischte ihre Lippen an der Innenseite ihres Unterarms ab und schnäuzte sich in ein Baumwolltaschentuch, das sie aus der übergrossen Schürzentasche hervorholte. Lisa hatte etwas gegen die Benutzung von Papier, egal, ob es Toilettenpapier, Küchen- oder Gesichtstücher waren. Die Vorstellung, Kürperflüssigkeit mit einem vom Menschen hergestellten Gegenstand zu entfernen, lastete schwer auf der Denkregion ihres Gehirns.


Sie hob die Tüte mit Erdnüssen auf; bevor sie eines der bettelnden Eichhörnchen fütterte, untersuchte sie gründlich deren Struktur: länglich, in der Mitte enger, erdfarbene, mattbraune Aussenhaut. Dellen. Leicht zu öffnen. Zum Essen einladend. Das perfekte Gleichgewicht. Zwei Nüsse im Inneren in passenden Kaput-Mortum-Regenmänteln. Bittere Haut. Gut schmeckendes Fleisch. Ausgezeichnetgeröstet, gesalzen in einem Schmortopf, oder zu Butter verarbeitet. Die Erdnuss: ein Baustoff des Lebens.


Sie lockte die nervösen Eichhörnchen, die Erdnüsse aus ihrer Hand zu greifen; aber als sie kamen, warf sie sie fort. Die geschickten kleinen Bettler stieben auseinander, um nach dem hingeworfenen Leckerbissen zu suchen. Sie nahm wieder eine Lotussitzposition ein, legte ihre Arme auf die Knie, hielt die Schnur zwischen beiden Händen und wiederholte ihre Atemübungen. Während sie in den Park blickte und darüber nachdachte, wohin sie gehen würde, band sie unbewusst das gelbe Stück Schnur um ihren linken Unterarm.


Hitzewellen stiegen von dem schwarzen Strassenteer auf. Die Glocken der St.-Francis-Kirche läuteten zur halben Stunde. Es war fast Mittag und schon höllisch heiss. Ein Einkaufswagen schepperte rhythmisch über den zementierten Gehweg, der den Park begrenzte. Eine korpulente Frau in pinkfarbener Kniebundhose und gelber Bluse stapfte in einiger Entfernung vorbei.


Sie nahm einen weiteren Schluck El Jay und die natürliche Säure legte ihre Lippen in Falten. Sie griff in ihre Schürzentasche, zog die Karamellbonbonschachtel heraus, die ihre Utensilien enthielt und nahm einen fertigen Joint und ein Streichholzheftchen heraus. Nachdem sie sich umgeschaut hatte, um sicher zu sein, in Ruhe rauchen zu können, zündete sie den Joint mit einem Streichholz aus ‚Joe Sun’s Swedish Steak House‘ an und schnippste es fast wie die Erdnuss weg. Die Eichhörnchen waren verwirrt.


Sie nahm einen langen Zug von dem Joint und durchblätterte die ‚Sutters Weekly‘, bis sie von dem leblosen, gepuderten, bemalten und teilweise von einer weissen Perücke eingerahmten Gesicht eines Mannes gefesselt war. Noch in Lotus-Sitz-Position neigte sie sich nach vorn und stützte ihr Kinn ab.Ein weiterer Zug aus dem Joint und sie war ganz in die Lektüre des Zeitschriftenartikels versunken.


Tod eines Martin

von K.Y.

Martin Griess: konservativ, paranoid, halbreligiös, Geld liebend, ordentlich, pünktlich, erfolgreich. Martin Griess wählte die Republikaner und war überzeugt, dass die andere Partei nur seine Steuern erhöhen wollte. Er glaubte, es sei richtig, keine Geldmittel mehr einzusetzen für Bildung, die Künste, Sozialprogramme und Arbeitsplätze. Martin Griess hielt überhaupt nichts davon, politisch korrekt zu sein. Er misstraute allen organischen Produkten, gestand Tieren keinerlei Rechte zu, wünschte keine Rückkehr zum natürlichen Leben und war überzeugt von der Wertlosigkeit illegaler Drogen.


Gleichzeitig schüttete er Unmengen verschriebener Medikamente in sich hinein.

Wie in einem Verfolgungswahn redete er sich ein, Opfer zu sein und lebte deshalb in einer sicherheitsgeschützten Wohnanlage und liess seine Ehefrau ein Militärfahrzeug fahren. Seine Furcht nährte seinen Hass. Er wollte anderen schaden, aber ohne das selbst zu bewerkstelligen; er unterstützte eine weitgehende Anwendung der Todesstrafe.


Martin Griess war ein Feiertagschrist, betrachtete die Kirche als Vertreterin der Mehrheitsmeinung und war oberflächlich freundlich zu Lobbyisten. Er glaubte an die christliche Doktrin der Trennung von Frauen und Männern und die Heiligkeit von Föten, kurzum: Für das Leben! Für den Tod!


Martin Griess liebte Geld, das Verdienen, das Sparen und seine Investition zwecks Vermehrung. Er genoss es im Zusammenhang mit Geld über sich zu sprechen. Ich, mich, meins. Um mit Martin zu kommunizieren, mussten die Pronomen ‚du‘, ‚dein‘ und ‚deins‘ in Verbindung mit Geld, Besitz und/oder Status verwendet werden oder er hörte einfach nicht zu.


Die Wahl seiner Autos und Häuser spiegelte seine Besessenheit wider. So wechselte er Automobile und Adressen alle sechs Jahre. Er verbrachte seine Zeit jedoch meist mit Autofahren von einer Verabredungzur anderen. Auf der Grundlage gieriger Forschung war dieser Autor zu dem Schluss gelangt, dass die Auto-Penis-Verhältnis-Theorie stimmte.


Seine häusliche Freizeit gestattete ihm nur einen kleinen Imbiss, währenddessen er sich Sportübertragungen oder Nachrichtensendungen ansah, etwas Schlaf und Grundhygiene. Seine Ehe diente reinen Repräsentationszwecken. Als seine Kinder erwachsen waren, begann er sich keine Chance entgehen zu lassen und hatte eine Vielzahl von Geliebten. Er liebte Bowling; dies war sein einziger anderer Sport. Martin erreichte nur knapp seinen Highschool-Abschluss. Als Football-Narr wurde er im Highschool-Jahrbuch als beliebtester Schüler und König der Oberstufenbälle bezeichnet. Nach dem Abschluss heiratete er die Schulkönigin. Er begann sein Studium an der Fresno State University mit einem Sportstipendium, musste aber wegen chronischer Allergien im ersten Studienjahr das

Sportstudium aufgeben.


Sein Fortkommen wurde gefördert durch den Kontakt zu den Kollegen der Studentenverbindung und er gab seine Studien im dritten Jahr auf und ergatterte einen angenehmen Job in der ‚Madd&Son‘- Werbeagentur. Sehr rasch hatte er eine Reihe von Kunden, deren Namen auf verschiedenen öffentlichen Gebäuden prangten, und wurde bekannt wegen seiner schöpferischen und innovativen Methoden, mit denen er durch Sponsoring Kontrolle über die örtlichen Kulturveranstaltung ausübte.


Während Martin mit dem Arrangement beschäftigt war, das ‚Rosinenfest‘ zu retten, dadurch dass Realife für das Ereignis bürgte und dafür Exklusivwerbungsrechte für ihre diversen Agrarprodukte erhielt, wurde er dazu abgeworben ausschliesslich für die Firma zu arbeiten. Sein erstes Projekt dort war ein Angebot, für die Kosten des Fresno-Community-Theaters zu bürgen als Gegenleistung für seine Umbenennung zum Realife Cultural Center und für die Übernahme der Kontrolle über sein Kulturprogramm.


Bald nach Beginn seiner Arbeit für Realife bat man ihn an einer Varieté-Vorstellung bei der Young

Millionaires Gala teilzunehmen, die in Fresno stattfinden sollte zu Ehren von Mr. Thorndorn, dem

Gründer und Vorstandsvorsitzenden von Realife, der 49 Jahre alt war und bald nicht mehr junger Millionär sein würde. Wie viele Leser wahrscheinlich bereits aus der Presse erfuhren, trat Martin am Buffet nach der Show als König von Frankreich gekleidet auf, und es starben 36 Millionäre. Lisa reckte ihren Oberkörper hoch, hielt ihre Wirbelsäule senkrecht und streckte ihre Beine aus. Während sie mit ihnen Schlangenlinien vollführte, um den Kreislauf anzuregen, ergriff sie die Flasche Sierra Gold und drehte die Kappe auf. Das sprudelnde Wasser zischte, spritzte heraus auf ihre Schürze und sie kreischte mit vorgetäuschter Überraschheit.


Sie achtete jedoch darauf, dass der Joint, der zwischen ihren Fingern erloschen war, nicht nass wurde. Sie hatte vergessen, regelmässig daran zu ziehen, da sie so stark in die Lektüre des Artikels vertieft war. Mit feuchter Hand streichelte sie über Hals und Gesicht, nahm dann einen Schluck von dem Wasser, gurgelte wenige Sekunden und schluckte ihn hinunter.


Die Eichhörnchen stürzten hinein in Lisas Dunstkreis und wieder heraus und bettelten verführerisch unter Aufbietung all ihrer Geschicklichkeit, um gefüttert zu werden. Sie waren die ganze Zeit über, während sie las, hin- und her gerannt, so dass sie ihnen die übrigen Erdnüsse zuwarf und freudig zuschaute, als sie in jede Richtung sprangen, um ihre wenigen Lebensmittel zu suchen. Sie nahm wieder ihre Yoga-Stellung ein und zündete den Joint wieder an. Was sich wie ein Ford Galaxy anhörte, kam näher und sie blickte auf die Strasse, um ihren akustischen Eindruck zu bestätigen. Sie dachte, wie peinlich es sei, die Marke eines Autos am Klang seines Motors zu erkennen und hatte den Einfall, einen schärferen Blick darauf zu werfen, nachdem sie zu lesen aufgehört hatte.


Martin hinterliess seine Ehrfrau und zwei Kinder. Kurz nach seinem Tod zog sein Sohn, ein A.K.N.E.-Künstler, ins Ausland und seine Tochter, eine prominente Mary-Kate-Handelsvertreterin, zog in einen andern Bundesstaat um. Seine Witwe, Dee Griess, hat sich in Chico niedergelassen mit dem Mann, in dessen Begleitung sie an der Young-Millionaires-Gala teilgenommen hatte.


Was trieb Martin dazu, der verdammt beste Werbefachmann im Kalifornischen Längstal zu werden, und was führte letztlich zu seinem Tod? Hat der Mann nur mitgemacht um mitzumischen?

Warum war er bereit seine Seele zu verkaufen? Nur um flüchtige Befriedung zu erlangen? Beim Versuch, ein klares Bild dieses normalen Mannes und seiner Eigenschaften zu zeichnen, stösst man nur auf weitere Fragen, die ewig unbeantwortbar bleiben. Warum konnte er den Verlockungen der Kidnapper nicht widerstehen? Hörte er jemals auf, seine Ehrefrau zu schlagen? Wie gross war sein Loch?


Martin war Insasse eines Kapitalgeschäftsgefängnisses gemeinsam mit all jenen, die einsitzen, um Geld zu erwerben und alles, was es bringt. Es ist eine Welt des Geldausgebens, der Staatsklaverei und gegenseitiger Liebedienerei, eine Welt, in der Menschen wie Martin glauben, sie könnten ihre eigene entmenschlichende Arbeit frei wählen.


Menschen wie Martin halten das grosse Rad in Bewegung und ziehen Nutzen aus seiner Wirkung. Sie beissen gewiss niemals in die Hand, die sie nährt. Sie akzeptieren ihren Platz in der Machtpyramide und machen, was von ihnen verlangt wird. Sie lieben tatsächlich das, was sie tun müssen. Sie nehmen bereitwillig teil an dem System des freundlichen Faschismus. Heutzutage werden Menschen des Typs Martin als normal angesehen.

Jetzt ist Martin tot. Lang lebe die freie Welt!


Nun, wenn das nichts ist!

Der Joint war nur noch ein winziger Stummel, den sie krampfhaft zwischen Daumen und Zeigefinger festhielt, um den letzten Zug zu nehmen. Sie schnipste das letzte Stück in die Luft, sah zu, wie ein Eichhörnchen ihm nachblickte und dankte der Göttin dafür, dass sie durch sie high geworden war.


Nach dem letzten Schluck Mineralwasser stopfte sie die Flasche in ihre Stofftüte. Während sie den Rest des Abfalls für das spätere Recycling aufsammelte, bemerkte sie ein struppiges Etwas auf der anderen Seite des Parks sitzen. Als sie sich auf die Stelle konzentrierte, ergriff sie ein sanfter innerer Rhythmus, und sie begann ihren Oberkörper zu wiegen und zu singen:


I chi, you be

So to, you do

Peace and love and happiness.


Sie hob ihre Hände hoch und streckte ihre Mittel- und Zeigefinger aus, schüttelte sie in die Luft und umarmte sich. Zurück zu ihrem Gedankenzug. Sie sass da, beobachtete, wie die Eichhörnchen an ihr vorbeisprangen und sagte: „Hier Kitty, Kitty, Kitty. Pussy Farm Deluxe kommt bald und es wird Zeit für die Aussaat.“


Nachdem sie mehrmals tief eingeatmet hatte, kehrte sie wieder in die Wirklichkeit zurück und konzentrierte ihre Aufmerksamkeit auf das eine Eichhörnchen, das sich noch herumtrieb, um eine Nuss zu erbetteln. In verzweifelter Suche nach einer solchen stand sie auf und leerte ihre Stofftüte. Sie fand aber nur einen Apfel, so dass sie in ihrer Schürzentasche herumkramte. Sie eindeckte den Penny, den sie im Waschsalon gefunden hatte und warf ihn in die Luft. Wenigstens besass er die richtige Grösse. Das Pelzwesen sprang herzu, schnüffelte, schaufelte in der Nähe ein Loch und begrub den Penny darin. Nach vollendeter Tat rannte es fort.


Hm! Vielleicht wächst eines Tages Geld auf Bäumen?




Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Kranke Sakramente - Anmerkung des Autors

04. sonniger tag im wirklichen leben

02. es dämmerte dee / dees dämmern / dee dämmern / dee dämmern / dämmern / dee