45. wohin du dich begibst, es kommt auf dich an!

 45. wohin du dich begibst, es kommt auf dich an!


Neil Jung klimperte auf dem Autoradio herum. Denver und Icky waren gerade auf ihrem Weg durch

das Kalifornische Längstal. Sie hatten in Modesto wegen eines Joints angehalten und tranken ihren

letzten Kaffee auf dem Parkplatz einer Shopping Mall mit einem Rund-um-die-Uhr-Fastfood-Durchfahrt-

Restaurant.

„Find’st du was anderes?“, meinte Denver und nahm einen Zug.

„Magst du keine Volksmusik?“, Icky griff hinüber und spielte an der Senderskala herum.

„Ja, doch. Ich würde lieber die hypnotischen Stimmen geheimnisvoller bulgarischer Volksliedsinger

als das trübselige Geklimper amerikanischer Country-und-Western-Sänger hören. Es ist nicht

so, als ob wir irgendetwas Ähnliches im Radio kriegen, weil dieses Auto aus Detroit kommt. Wir sind

nämlich in den USA und wir sind Kalifornier; wir erhalten nur AM oder FM vom Pazifik bis zum

Atlantik, K im Westen und W im Osten. Er öffnete das Fenster einen Spalt weit und schnippte den

Cowboy hinaus.

„… zurückgegangen. Überschwemmungen ereigneten sich in …“

„Toll. Es gibt schon Überschwemmungen. Lass’ die Sendung kurz an!“

„… I chi, you be. So to, you do”, sagte eine weibliche Stimme im Radio. Es klingelte und

die Stimme sagte etwas Unverständliches.

Icky langte hinüber um auf einen anderen Sender umzuschalten.

„Einen Augenblick“, sagte Denver und erhob eine Hand um Icky davon abzuhalten.

„Möchtest du das hören?“

„Es ist besser als amerikanische Volksmusik. Es ist etwas anderes.“

„Was sagte sie?“

„Weiss ich nicht“, sagte Denver und beide sassen ruhig und bewegungslos da und hörten dem

Mantra zu und versuchten den Sinn der Wörter zu verstehen.

Icky sprach als erster: „Weisst du, wie es sich für mich anhört?“

„Ich glaube ja.“ Sie fingen an die Wörter parallel zu der Radiostimme zu bilden, bis sie beide sich

zum Rhythmus bewegten und das Mantra artikulierten.

„Toll ‚Mädchen. Toll ‚Mädchen. Toll, Girl“, fuhr die Stimme fort.

Sie schauten sich an und zogen augenblicklich ihre Augenbrauen hoch und schüttelten ihre Köpfe

und fragten sich, was sie sagten. „Toll, Girl?“, und bewegten sich noch, bis die Stimme plötzlich aufhörte.

„Ihr Arschlöcher seid Kopien von Dingen, die schon lange tot sein sollten.“

„Icky und Denver waren ergriffen. Der einzige andere Laut waren die Regentropfen, die auf das

Galaxy herabprasselten.

„Friede und Liebe und Glück. Was willst du hören?“, fragte die Stimme und atmete tief ein.

„Entschuldigung. Entschuldigung. Segnung für euch, Schwestern! Ich will euch etwas fragen.“

Sie sprach deutlich und fügte nach jedem Satz eine Pause ein. „Ist euer Haus in Ordnung? Wenn

nicht, wird’s Zeit es zu reinigen. Denkt dran, Sauberkeit ist dort, wo die Göttin residiert! Bringt es in

Ordnung und bereitet es auf die Gäste vor, Schwestern! Es wird Zeit ein fröhliches Haus zu haben.“

Ein banaler Rhythmus leichter Töne erklang kurzfristig.

„ Gibt sie Tipps zum Saubermachen oder was?“, fragte Icky pathetisch.

„ Seid ihr gesund?“, fuhr die besänftigende Frauenstimme fort. „Habt ihr euren Körper zum Tempel

des Geistes gemacht? Es wird Zeit ihn zu vervollkommnen. Wurde euer Glück durch Liebe und

Wissenserwerb bewirkt? Seid ihr mit eurem Wissen oder mit eurem Erfolg glücklich? Seid ihr zufrieden?

Wollt ihr mehr? Verbringt einen guten Tag, Schwestern! Doch ich weiß: Das sagen sie alle.“


„Ach Mensch! Sie stellt wirklich eine Menge Fragen“, stellte Icky fest und steigerte die Lautstärke.

„Es muss eine neue und kraftvolle feministische Selbsthilfegruppe sein, die aus einem Gemeinschaftscollege

sendet. Vielleicht ist’s ein Hörspiel.“

„Göttin segne euch Schwestern!“, fuhr die Stimme fort. „Klingelt!“

Eine Glocke läutete und eine sanfte, ruhige Stimme begann im Hintergrund langsam zu singen:

Workin’ in the coal mine

goin’ down,down.

Workin’ in the coal mine.

Oooh, I gotta get down.

6 o’clock in the mornin’

I’m already up and gone.

Oh! I am so tired

Feels like I can’t go on.

’Cause, I’m workin’ in the coal mine,

goin’ down, down, down.

Es gab eine kurze Pause, bevor die Hauptstimme wieder erklang. „Ich bin nicht zufrieden. Ich bin es

leid zu warten. Ich möchte sehr gern, dass etwas passiert, ein evolutionärer Schritt in die richtige Richtung,

anstatt ein de-evolutionärer in die falsche. Wir befinden uns inmitten einer nicht beendeten

Reise und wir müssen Schluss machen und in Richtung Sozialreform weitergehen.“

„Schwestern! Ich möchte über die Liebe und den Respekt sprechen, die jeder von euch verdient,

denn wenn ihr nicht von euren Schwestern geliebt und respektiert werdet, ist es PMS.“

„Was ist’n das ?, fragte Icky sofort.

„Ach, Icky. Sei nicht blöd! Prämenstruales Syndrom.“

„Schwestern ! Ich bin so müde. Immer wenn ich das Radio oder den Fernseher einschalte, im Internet

nachforsche oder die Zeitung aufschlage, bin ich genervt zu hören von und zu lesen über Menschen, die

für irgendein Dogma kämpfen. Es ist gravierendes PMS: PRETTY MUCH THE SAME. Hallelujah !“

„Andere weibliche Stimmen im Hintergrund bekräftigten ihre Feststellung.“

„Das ist clever.“

„Ja, ich erinnere mich daran“, warf Denver ein. „Das muss …“

Icky stellte Denver mit einem scharfen ‚Sch!‘ ruhig.

Jeder Tag ist ein trauriger Tag. Ohne Liebe und Anerkennung fühlt man sich wie eine wertlose

Amöbe in den kalten, feuchten, pechschwarzen Kohlebergwerken tief in der Mutter Erde, allein im

Schmutz, gequält durch Einsamkeit. Jeder Mensch ist ein Springquell der Information. Wir benötigen

Kommunikation, Plauderei, Gedankenaustausch, gegenseitiges Kennenlernen und Sichbilden. Aber

ohne diese ist jeder Tropfen eines Stalaktiten eine fremde Sprache, die wir nur wenig verstehen. Jeder

Tag ist die Hölle, selbst im Frühling. Das Bluessingen kommt auf ganz natürliche Weise.

Wieder läutete eine Glocke und die weibliche Stimme sang:

I was untrue.

What have I put you through?

I wanted someone new,

But you knew

And you too

Are gone and I am blue.

What am I going to do?

I still love you.

Boo hoo.


„Alles reimt sich auf blue“, fuhr sie mit ihrem Vortrag fort. „Jede Seifenoper und jeder Country-und-

Western-Song ergeben Sinn.“ Sie erhob ihre Stimme.

„ Ja! Ohne etwas L&R ist ein Tag ohne Sonnenschein, ein trauriger Tag, getrennt, geschieden von

allem, von allem um uns herum. Es ist die Hölle. Langeweile wäre ein Trost; aber alles, was bleibt,

sind völliger Stillstand und absolute Leere. Rache? Wozu? Leiden und Selbsttötung bilden keine

Alternativen. Keinerlei Sex.“

„Ich empfinde es so, als ob sie mich direkt ansprechen würde“, bekräftigte Denver.

„Keine Sorge, Schwestern! Wir sind verliebt und wir sind verliebt und wir sind zu Hause. Hallelujah!“

„Ich kann’s nicht glauben!“, rief Denver aus. „Inmitten des verdammten Nirgendwo. Ich glaub’, es

ist Gogo Sunshine. Sie ist die mit dem Glühbirnen-Ding.“

„ Schwester!“, rief eine dritte Stimme mit tiefer Absicht aus. „Schlag mich mit deinem Rhythmus-

Stab!“ Die Glocke läutete und sie sang:

A.B.C.

Easy is one, two, three

A.B.C.

You and me, baby.

A-B-C-1-2-3-A-B-C.

You and me girl.

Denver und Icky sangen weiter, bis die Musik abrupt verklungen war; und die Hauptstimme kehrte

zum Mikrophon zurück, mit der gleichen Klarheit, aber gesteigerter Geschwindigkeit. Ich habe die

Lügen satt. Ich möchte nicht von dem weißen Suprematisten manipuliert werden. Ich möchte frei

sein um davon zu fliegen wie die Schmetterlinge im Zoo.“

Es klingelte und die ursprüngliche Vinyl-Aufnahme der Norma-Child-Songs mit Sprüngen war

kurz zu hören: „

Want to be a butterfly.

Flying free at the zoo.

I want to fly, fly away

And get away ’way from you.

I want to be a butterfly

Flying free at the zoo.

I want to fly in the sky

And get away, ’way from …

„Verfluchter Papst!“, sagte die Stimme, als das Lied verklungen war. „Verfluchter Ayatollah Khomeini!

Verfluchter Rabbi Heller! Verfluchter Heiliger Brahmin! Verfluchte institutionalisierte Religion!

Verdammte USA, WTO, GATT, NAFTA und NATO! Verdammte CBS, NBC, ABC, CNN, BBC, und

MTV! Verdammte ITT, IBM, ATT, MCI, und GTE! Und verdammte PDF, JPG, DOC und WRD ! und

verfluchte militante Nichtraucher! Sie sind so dämlich!“

„Das stimmt, Frau!“, bekräftigte Icky. „Das sind sie.“

„Wenn der Mensch die Religion erzeugt und diese Kriege erzeugt, dann ist der Mensch Krieg.“

„Aha!“, liess eine Gruppe Frauen im Hintergrund vernehmen.

„ Wenn der Mensch Politik macht und die Politik den Krieg erklärt, dann ist der Mensch Krieg.“

„Aha.“

„Wenn der Mensch die Medien schafft und die Medien über den Krieg berichten, dann ist der

Mensch Krieg.“

„Toll!“, äußerte Icky. „Das ist fast zu viel für mich.“ Rasch wurde er durch Denver beruhigt.


„Es dauert fünf Sekunden bis zur Entscheidung, fünf Sekunden unserer Zeit, wenn du Teil des

Problems oder wenn du Teil der Lösung bist.“ Sie begann zu zählen: „Eins, zwei, drei, vier, fünf.“

„Ich hab’ dich verstanden“, schloss sich Icky an.

„Stimme für mich! Ich würde dich frei setzen. Ich bin die neue Zeit.“ Sie wiederholte die Sätze

und man konnte hören, wie die Gruppe im Hintergrund ihr beipflichtete. Ganz plötzlich unterbrach

sie alle durch den Einwurf: „Heil Peace!“

„Heil Peace!“, wiederholten Denver und Icky, wobei sie ihre linken Arme hoben, und blickten sich

an. „He! Das kommt von der Art Angles.“

„Das muss G.B. sein“, sagte Denver. „Gemeinsames Bewusstsein.“

Es entstand eine lange Pause und sie hörten, wie sich die Studiozuhörer auf ihren Sitzen krümmten.

„Ich hab’ vergessen, was ich sagen wollte. S.T.M.L.: Short Term Memory Loss. Das kommt vor,

wenn ich high bin.“

Sie machte wieder eine Pause.

Icky sagte erstaunt: „Könnt ihr glauben, was ihr gerade gehört habt?“ Sie gab zu high geworden

zu sein. „Das ist phantastisch! Das muss ein Piratenrundfunksender sein, oder vielleicht strahlen die

Ausserirdischen ihre Botschaft hierher aus.“

„Es ist Gogo Sunshine. Ich kenne die Website.“ Er sah Icky an. „Du weisst, ich hab’ dir’s schon gesagt.“

„Gnadenreiche Mutter! Was hab’ ich gemacht? Oh ja, Schwestern! Ich wollte euch eine Geschichte

erzählen: Eines nebligen Abends traf ich einen Alien, der verkleidet war als sanfter Vorstadtgartenzwerg

mittleren Alters. Als ich mich ihm näherte, griff er in seine Hosentasche und zog einen gelben

Zettel hervor. Er sagte, er habe mich beobachtet und gab mir ein Stück Papier, das mein Leben verändert

hat. Darauf stand der Code E.G.Y. P.T.“

Icky stampfte mit seinem linken Fuss auf das Bremspedal und schnellte auf seinen Sitz zurück.

„Mann!“ Seine Kinnlade fiel herunter und er hielt seine Hand vors Herz, sprachlos. Die Ähnlichkeiten

der Umstände waren mehr als nur zufällig. Denver hyperventilierte und schaute Icky Zustimmung

heischend an.

„ Jetzt verfüge ich über den Code um mit Aliens zu reden, und ich habe mit ihnen geredet.“ Ihre

Stimme veränderte sich. „Hallo! Hallo! Die Aliens sprechen mit mir. Sie kommunizieren mit mir. Sie

sagen etwas zu mir.“

„L. S.M.F.T. Ich möchte gern wissen, ob sie eine Zigarettenschachtel als Handy verwendet.“

Denver murmelte: „Hallo! Hallo!“, während er aus dem Fenster des Galaxy schaute.

„Schwestern! Ich bin heute hierher gekommen um euch den Code zu bringen. Aber zuerst werde

ich euch berichten, was mir die Aliens erzählt haben. Sie kommen nicht sehr oft, aber wenn sie kommen,

Schwestern! Die Energie war da vor nicht allzu langer Zeit. Ich fühlte sie und betete zur Göttin.

Ich zündete meine Kerze an und läutete meine Glocke. Sie fingen an mir Dinge zu erzählen, nicht

verschlüsselt, nicht in fremden Sprachen, sondern in einfacher Sprache, so dass ich alles verstanden

habe; und wisst ihr, was sie sagten?“. Sie legte eine lange Pause ein wie ein guter Geschichtenerzähler,

um die Spannung auf einem hohen Niveau zu halten.

Icky und Denver hielten den Atem an.

„Sie sagten“, flüsterte sie, und der Bass gongte aus dem billigen Kartonlautsprecher, und der Ton

vibrierte im Galaxy.

„Sie sagten, dass diese Gesellschaft, in der wir leben, dem weissen, christlichen, heterosexuellen

Mann gewidmet ist, der sonst noch als weisser Suprematist bekannt ist und dessen Nummer 666 lautet.

Er ist es, der ständig nach Fortschritt strebt, länger, grösser, dicker, weiter, höher und umfassender

zu werden, schnell zu laufen, schneller, am schnellsten, mehr, noch mehr, am höchsten zu wachsen,

der bessere Mann zu sein, ein besserer Mann, als er schon ist, der allerbeste von ihnen allen.“

„Sein Streben basiert auf dem schrecklichen maskulinen Monotheismus, der zur Rettung seines

Ego gegründet wurde, errichtet ohne Bezug zur Natur und unter völliger Missachtung eines jeden,


der nicht heterosexuell und männlich ist. Hallelujah, Schwestern! Ich habe noch nicht zu Ende gelesen!“

„Hallelujah, Schwester, lies!“, vermochte Denver noch auszurufen trotz seiner intensiven Konzentration

auf jedes Wort, das sie sagte.

„Genossinnen Lesbierinnen !“

„Ich hab’ gar nicht gewusst, dass ich Lesbierin bin“, sagte Icky.

„Jetzt bist du’s eben.“

„Wir werden unterdrückt, ausgebeutet durch chauvinistische Macho-Schweine, riesige rosafarbene

Meeresnacktschnecken, schleimige Yuppiesurferknaben und Elchköpfe von Megakapitalgesellschaften.

Schwestern! Ich kenne viele dieser Hunde, die jeden Tag ihre Arbeit verrichten, ihr Bein

heben und an jeder Ecke ihr Markenzeichen hinterlassen.“

„Sie wachen auf, trinken Kaffee, frühstücken, entleeren den Darm, duschen, rasieren sich und

putzen sich die Zähne.“ Sie kehrte in den ruhigen Rhythmus zurück, in dem sie begonnen hatte. „Täglich

fahren sie Auto, gehen zur Arbeit, essen zu Mittag, zu Abend, sehen fern und verlustieren sich.

Jeden Tag trinken sie ein Bier oder rauchen eine Zigarette oder schlucken Tabletten und starren die

leeren, weissen Wände an.“

„In der Stadt geboren, werden sie in der Stadt leben, sie werden in der Stadt sterben; sie wurden

in der Stadt geboren, sie werden in der Stadt leben, sie werden in der Stadt sterben; sie wurden geboren

in …“ Die Sätze wurden von den Singenden im Hintergrund aufgenommen, als sie weiterlas.

„In der Zwischenzeit essen sie und essen und essen, und wenn ihre Mägen voll sind und fast zu

platzen drohen, können diese anal-speichernden Ärsche nicht mal richtig scheissen. Tatsächlich können

sie überhaupt nicht mal scheissen. Sie leiden alle an Verstopfung. Sie sind alle i. r. r. e. g. u. l. ä. r.,

irregulär. Sie alle benötigen ein gutes Klistier. Und, Schwestern! Die Zeit ist reif die Gedärme zu verwalten,

einzuschalten und zu fluten. Es wird Zeit für die anale Revolution! Es wird Zeit die Scheisse

rollen zu lassen, denn das Leben ist kein Büffet und man kann nicht alles essen, was man will.

Hallelujah!“

„Hallelujah!“, rief Denver. „Festgehakt auf Klistieren. Schwester, komm runter!“

„Ich möchte dich etwas fragen, etwas Persönliches. Ich weiss, ich werde nicht zu weit gehen, weil

wir hier ja alle Schwestern sind. Wir sind hier eine grosse Familie. Stimmt das?“

Ein einstimmiger Chor summte Zustimmung.

„Wie wischst du deine Rosette? Denk man nach!“

„Fräulein Ding, deine Frage ist bösartig“, bemerkte Denver.

„Sie hört nie auf Fragen zu stellen.“

„Was für Toilettenpapier benutzt du? Ist es die sanfte, weiche, wattierte kleine Marke, die alle Arten

von Regenbogenfarben aufweist? Oder ist es das Extra-extra-zwei-oder-vier-Lagen-Gewebe, das wie

Omas zehn Jahre alte Flasche ‚Moi-Moi‘ duftet? Wie viel Blatt Toilettenpapier benutzt du für einen

Gang? Faltest du es, rollst du es zu einem Bausch oder knüllst du es in deiner Hand zusammen?

Wischst du dir deine Rosette mehr als einmal ab, und wie wischst du? Von vorn nach hinten oder von

hinten nach vorn ? Hast du dich an den Geruch gewöhnt?“

Icky prustete, wischte die Popel weg und sagte: „Der Geruch meines eigenen Kots. Ach, Enver. Ich

hab’ eigentlich nie darüber nachgedacht.“

„Magst du den Duft deiner eigenen Fürze?“

„Miss Gogo, hör nicht auf!“, warf Denver ein.

„Hast du jemals aufgehört darüber nachzudenken, was du ohne Toilettenpapier machen würdest?

Oder dass die Menschen die einzigen Tiere sind, die sich sogar Zeit nehmen ihren Hintern abzuwischen,

geschweige denn das Papier herstellen, mit dem sie es machen ?“

„Oh, Kind! Frau sagt hier die Wahrheit“, bezeugte Denver, wobei er die Hände zum Himmel hob

und schüttelte. „Was für eine grossartige Art den Planeten zu retten !“


„Schwestern! Schwestern! Schaut ihr euch euer Kacka an, wenn ihr fertig seid? Und schliesslich

meine letzte Frage.“

„Ich habe gedacht, sie würde nie zum Ende kommen.“

„Seid ihr zufrieden? Schwestern, wir sind, was wir essen, und der Beweis liegt im Pudding. Hallelujah!“

Wiederum liess die Gruppe weiblicher Stimmen ihre Zustimmung ertönen.

„Na, super!“, rief Denver aus und beugte seinen Kopf. Der Augenblick schien günstig für eine

spirituelle Erfahrung und Denver nutzte ihn.

„Schwestern! Wir haben uns versammelt um uns an uns zu erfreuen, um unsere Identität als

Lesbierinnen zu feiern. Die Göttin möge heute hier alle Lesbierinnen segnen. Wir haben uns getroffen

um zu beweisen, wer wir sind und zu entscheiden, was wir tun müssen um respektiert zu werden

und nicht nur akzeptiert. Ich will nur leben. Ich möchte die Musik spüren. Ich wurde geboren

um lebendig zu sein.“ Die Glocke läutete und sie sang:

Born. Born.

Born to be alive.

Yes. I was born, born, born.

Born to be alive.

„Zu erfahren und zu lernen, sich an unserer Fähigkeit zur Vernunft zu erfreuen, zu denken und deshalb

zu existieren. Unsere Identität wird nicht von aussen definiert, sondern aus unserem Inneren.

Es ist eine Kultur, und sie gehört uns.“

„Warum gibt sie sich weiterhin mit diesem lesbischen Kram ab? Ich weiss nicht, ob ich mich mit

diesem Wort identifizieren kann, Denver.“

„Ich wird’s später erklären.“ Er gab ein Zeichen mit seiner Hand um seinen Reisegefährten zu beruhigen.

Lass mich zuhören!“

„Wir sind keine lesbischen Sklavinnen. Sisters, I’m every woman and I am coming up. Wir sind

die Neger der Welt und es wird Zeit für jeden von uns ein für allemal zu erklären: Ich bin lesbisch;

und das ist gut so.“

„Sie gibt sich sicher weiterhin mit dieser Lesbensache ab“, sagte Icky verärgert. „Woher kommt

sie?“

„Wir müssen für unser Recht kämpfen zu lieben und den Sex zu retten, sicheren Sex.“

„Es wird Zeit den Sex zu retten“, sprach eine Männerstimme dazwischen.

„Woher kam sie?“

Denver zuckte mit den Schultern. „Vielleicht war’s die Stimme des Sponsors.“

„He, wie spät ist es?“, fragte die Frauenstimme.

„Zeit?“, zwitscherten beide einträchtig.

„Es ist Zeit für unsere Unterrichtsstunde in Naturwissenschaften.“

„Was geht in dieser Frau vor?“

„Margaret Mead, eine berühmte Kulturanthropologin, schon verstorben, stellte fest, dass die

Eskimos/Inuit mehr als zwei Dutzend Wörter für Schnee verwenden, eine Tatsache, die dessen

Bedeutung in ihrem Leben zeigt. Ich möchte dies veranschaulichen durch den Hinweis auf die Ersatzwörter

für ‚Penis‘ und ‚Vagina‘ in unserer Gesellschaft. Fangen wir mit dem Penis an, soll’n wir?

Wiederholt, bitte!“:

„Gurke, Knochen, Ständer, Hahn, Schwanz, Erektil, Lolli, der kleine Brüder, Schlauch, Mannwurzel,

Freudenstock, Banane, Höcker, Liebesmuskel, Glied, Nüsse, Organ, Spitzhacke, Zucchini,

Stöpsel, Rute, Stab, Totempfahl, Zipfel, Klöppel, Hammer, Juwel, Fleischstück, Stecher, Schnellstock,

Ladestock, Pfahl, Stock, Werkzeug, Pimmel, Stück, Teil, Teufelsstock, Hot Dog, Johnny, Rohr, Latte,

Piepel, Dingdong, Phallus, Luststab, Wang und schliesslich Gockel.“


Die Gruppe sprach ihr feierlich jedes Wort nach ebenso wie Denver und Icky, die über die endlosen

aus dem Radio ertönenden Euphemismen lachte.

„Nun zur Vagina! Wiederholt, bitte! : Schachtel, Nummernscheibe, Fotze, Muschi.“

„Crystal. Oh, Mist. Mensch! Ich hab’ die Verabredung heute Abend vergessen,“

„Liebeslippen, Hügel, Mieze, Möse, Vulva.“

„Mit wem?“

„Glocke, Katze, Lippe, Pfirsich,“

„Crystal, du weißt: Fräulein Rivercondo.“

„Schlitz, Ananas, Scham, Biber, Muff, Spalte, Loch …“

„Was willst’n machen?“, konnte Denver zwischen schallendem Gelächter fragen.

„Pud, Kitzler, und schliesslich Kirsche.“

„Nichts. Ich hab’s vergessen. Deine Tragödie hatte Vorrang.“

„Damit ist unsere Naturwissenschaften-Stunde heute beendet. Als Hausaufgabe sollt ihr einen

Essay im Umfang von einer Seite verfassen, in dem ihr so viele der Wörter wie möglich verwenden

sollt, die ihr heute gelernt habt. Vergesst nicht, eure Phantasie anzustrengen! Zusatzpunkte gibt’s für

die kreativste Arbeit.“

„Sie hat Recht.“

„Genossinnen Lesbierinnen! Schwestern! Ich möchte euch etwas erzählen, was euch vielleicht

noch nicht klar geworden ist: Wir sind ein Geschenk. Ja, wir sind ein Geschenk der Göttin an die Mutter,

an die Mutter Erde, natürlich du und ich. Ja, Lesbierinnen, weil wir nicht an der Lüge des Patriarchen

teilhaben, an der Lüge der Züchtung, der Lüge jemandem zu gehören,“

„Lies, Frau! Ich glaube das selbst“, antwortete Denver.

„Es ist verständlich, dass ich nicht ein Kind in diese Welt gleiten lasse, es nicht muss, es nicht wünsche

oder es nicht tun werde. Ich will meine Welt für mich und für jeden auf der Welt heute, die fünf

grundlegenden Menschenrechte, die fünf fundamentalen Räder der Existenz: das Recht auf saubere

Luft, Nahrung und Wasser, das Recht auf Wohnung, das Recht auf Bildung, das Recht auf sinnvolle

Arbeit und das Recht die Person zu lieben, die ich lieben will, wann ich will und wo ich will. Wir müssen

diese grundlegenden Rechte erwerben und sie müssen allen gewährt werden.“

„Jedoch gehen die patriarchalischen Mächte in dieser Gesellschaft rücksichtslos vor, um ihr gottgegebenes,

und diesmal sage ich, gottverdammtes Recht zu verteidigen sich zu vermehren. Sie ermorden

uns durch Kriege und staatliche Hinrichtungen und sperren uns ein in Gefängnisse und

Ghettos. Die Dogmen ihrer Religionen formen die Gesellschaft nach patriarchalischem Standard, der

einen strengen Moralkodex auferlegt, um die menschlichen Instinkte zu unterdrücken.“

„Genius! Fahr’ fort, Girl!; das ist fabelhaft!“, bezeugte Denver.

„Lesbierinnen! Ich werde nicht abspritzen für ihre heilige Zukunft oder mein Bett für ihren Samen

vorbereiten. Für viele gibt es nichts, nein, nichts Wichtigeres als Unsterblichkeit, das heisst Vermehrung

und Schaffung einer Zukunft und Gott zu spielen. Und es tut mir Leid, so spiele ich nicht Gott.“

„Ich auch nicht, Schwester!“, sagte Denver und klopfte mit einer Handfläche auf das Armaturenbrett.

„Kinder, Kinder, Kinder, ich hab’ nichts gegen Kinder. Aber ich will Utopia! Ich will Utopia jetzt

und nicht in irgendeiner fernen Zukunft! Es ist Wunschdenken und es ist pathetisch.“

„Nun, gut!“, jauchzte Denver.

„Lesbierinnen! Wir sind ein Geschenk: ihr und ich. Wir sind ein Geschenk der Göttin für die Mutter,

um die Bevölkerung zu kontrollieren. Ja, Schwestern. Jeder spricht von Übervölkerung; aber

wenige unternehmen etwas dagegen. Jeder spricht von Vergewaltigung der Mutter Erde; aber noch

stirbt jede Viertelstunde eine Tier- oder Pflanzenart aus, hört einfach auf zu existieren. Die Kette ist

zerbrochen. Mutter, was habe ich getan?“ Sie hatte sich in Fieberrage geredet.

„Schwestern! Mutter Erde hat Aids. Sie wurde geschwächt durch die ständigen Versuche des Menschen

sie zu kontrollieren. Ihr Immunsystem ist schwach. Ihr Körper beginnt zusammenzubrechen,


angegriffen von eben den Geschöpfen, die sie unterhält. Sie kann nicht gegen die Krankheit, Menschheit

genannt, ankommen.“

„Und was der Mensch macht, nennt er freies Unternehmertum. Dies ist nichts anderes als unbeschränkte

Vollmacht, in ein anderes Land zu gehen und das zu bekommen, was er will, nämlich billige

Arbeitskräfte auszubeuten, sozialen Fortschritt zu verhindern, seine Freunde in die höchsten Positionen

zu bringen, Ländern ihre Ressourcen rauben und den gesamten Profit in sein eigenes Land

zu schaffen. Das nennt er freies Unternehmertum. Ich nenne es Raub „Wie ein Hund, der zum Fressen

seines eigen Erbrochenen zurückkehrt, sehe ich IHN wieder!“, rief sie aus und alle wurden still.

„Lesbierinnen, vereinigt euch! Wir werden nicht mehr ihren ganzen Dreck aufräumen. Es wird

Zeit unser Leben selbst in die Hand zu nehmen, für das Leben einzutreten, über unseren Körper

selbst zu bestimmen freie Wahl zu haben. Vereinigen wir uns und werden wir souverän! Seien wir

wir selbst!“

„Ich werde euch anfeuern.“

Das Geräusch eines hellen Freudenfeuers und das langsame rhythmische Schlagen von Trommeln

waren im Hintergrund vernehmbar. Eine Glocke läutete und ein Frauenchor sang gedämpft:

Going down,down,down

in the ring of fire, the ring of fire.

Going burn,burn,burn

in the ring of fire, the ring of fire.

„Das Feuer brennt, gelbe Schwestern! Denn Gelb ist die Farbe des Jahrtausends. Gelb ist brillant. Gelb

ist Licht. Gelb ist die Sonne. Gelb ist Leben; und ich lebe, deshalb bin ich! Gelb ist das Prinzip. Vergesst

Rosa! Denkt gelb! Brenne, Baby, brenne! Ihr brennt alle.“

Denver zeigte auf sich und sagte: Ich bin mit euch.

Der Chor sang leise im Hintergrund weiter.

„Es ist Zeit um dieser Versammlung den Code anzuvertrauen mit Aliens zu sprechen.“ Sie gelangte

zu einem Erzählrhythmus zurück. „Nehmt Papier und Kuli und seid bereit!“

Eine kurze Rauferei folgte, als Icky und Denver auf dem Vordersitz nach Papier und Kuli suchten

„Egypt,“, sagte sie „Egypt ist der Code, um mit den Aliens zu sprechen.“

Unfähig die Sachen rechtzeitig zu finden, schrieb Denver den Code auf die nun nebelbeschlagenen

Fenster des Galaxy,

„Warte! Ich hab’ den Code schon.„ Icky kramte in seinen Hosentaschen nach dem gelben Zettel.

„E.G.Y. P.T. ist ein Initialwort. Das E steht für Egypt, G für gives, Y für you, P für plenty und T für

time. Was bedeutet das?“

Die Stimmen im Hintergrund verklangen. „Egypt gibt euch genügend Zeit.“

„Richtig.“ Ihre Stimme nahm eine angenehme gebieterische Qualität an. „Nun nehmt die letzten

Buchstaben dieses Begriffs, nämlich das T am Ende von ‚Egypt‘, das S am Ende von ‚gives‘, das U am

Ende von ‚you‘, das Y am Ende von ‚plenty‘ und das E am Ende von ‚time‘! Was heisst das?“

Die Gruppe buchstabierte das Codewort: „T.S.U. Y.E.“

„Richtig“, bekräftigte sie. „Das ist ein Initialwort für das englische ‚To see under your eye.‘“

„Ein drittes Auge zu haben“, vervollständigten die Zuhörer die Botschaft.

„Toll! Also das bedeutet es“, sagte Icky leise. „Ja, nun erinnere ich mich. Das also hat der Typ

gesagt.“

„Richtig, Schwestern! Das dritte Auge, das zwischen euren Augen: euer Instinkt, eure Intuition,

eure Spiritualität. Göttin segne!“

„ Göttin, segne!“, bekräftigte die Menge.

„Hier, Kätzchen, Kätzchen, Kätzchen. Hier, Kätzchen, Kätzchen, Kätzchen.“, wiederholte sie mehrmals.

„ Hier, Kätzchen, Kätzchen, Kätzchen.“ Im Hintergrund schnurrte eine Katze.


„Genossinnen Lesbierinnen, ihr seid in einem Kreis, ihr habt, was nötig ist, ihr besitzt den Code,

um mit den Aliens zu kommunizieren. Ihr habt den Code erhalten. Nutzt ihn um die Welt zu verändern,

eure Welt, euch selbst zu verändern, euren Garten zu bebauen und auf ihn zu pieseln! Lasst ihn

gedeihen!“

„Hier, Kätzchen, Kätzchen, Kätzchen. Hier, Kätzchen, Kätzchen, Kätzchen. Die Luxus-Miezenfarm

kommt bald!“, rief sie aus.

„Viva Las Vegas!“, rief sie zurück.

„Viva Las Vegas!“, wiederholten sie.

Es läutete und der Rundfunksender verstummte auf geheimnisvolle Weise. Es folgte eine lange

Phase der Stille, in der Denver und Icky das gerade Gehörte verarbeiteten. Denver sprach dann zuerst:

„Nun, Icky, wie wischst du dir dein Gesäss ab?“






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