50. gehen wir shoppen
50. gehen wir shoppen
„Deine Aktion im Burger Queen war richtig gut. Diesen Trick mit den Zahlen hätte ich mir nie
ausdenken können. Das war sehr geschickt.“ Sie öffnete die Tür, schlug sie zu und rannte los.
„Ja“, sagte er, als er hinter Freedom herrann zum Eingang des Zweite-Hand-Ladens und dabei
immer wieder in Pfützen trat. „Ich habe es schon lange machen wollen. Hast du jemals einen Lottogewinner
kennen gelernt?“ Sie blieben unter einer Jalousie stehen um das Regenwasser abzuschütteln.
„Ich meine, was macht jemand, wenn er gewonnen hat?“
Freedom schüttelte den Kopf. „Den Knallkörper habe ich geworfen, weil ich Pyromane bin; und
ausserdem sagt man, dass Kracher böse Geister vertreiben und ich habe ganz stark gespürt, dass es in
dem Lokal viele davon gab.“
„Schnellrestaurants sind wirklich unheimlich, sie sind eine Mischung aus allen möglichen Menschen
und einigen Ausserirdischen.“ Sie stiess die Drehtür des Ladens auf. „Oh, der Gebrauchtwarenladen
! Sie haben also auf dem Weg nach Fresno im Radio eine Stimme gehört.
Weißt du, was noch besser ist: Ich habe das Ticket am Eingang fallen lassen. Irgend so ein blöder
Typ hebt es auf oder vielleicht finden sie es auch gemeinsam, und vielleicht geraten sie deswegen in
Streit“
„Du bist gemein. Erzähle mir mehr von dem Gogo-Leben!“
„Also zurück. Nun gut. Wie ich im Auto sagte: Mein Freund und waren auf dem Parkplatz, nahmen
einen Imbiss zu uns und stellen zufällig diesen Sender ein mit der Frauenstimme. Sie singt und
spricht ohne Unterbrechung. Es muss bei Modesto gewesen sein kurz vor dem Regen.“
Bisher haben nur wenige ihre Stimme gehört. Sie lebt in einer Kommune, kommuniziert aber nur
wenig.“ Sie atmete schwer. „Der Geruch von Gebrauchtwaren! Geh’n wir also shoppen!“
„Ja, es dauerte nicht lange. Aber sie hat einiges Nette und Wilde gesagt. Dem meisten konnte ich
zustimmen, aber nicht dem Lesbischen. Dann gab sie uns den Code der Aliens oder bestätigte ihn,
denn ich besass ihn ja bereits.“
„Was?“, war ihre Reaktion, während sie zum nächsten Gang lief.
„Ja, den Code um mit ihnen zu sprechen: Ägypten. Ich habe Ihnen im B. Queen schon davon
erzählt.“
„Oh, ja, Ägypten“, meinte sie lässig und hielt mitten im Gang inne, „Hab’ schon davon gehört. Hat
sie die Glühbirne erwähnt? Das Konzept mag ich besonders.“
„Nein. Ach doch, sie ist mit der Glühbirne verbunden. Das hat mir mein Freund gesagt.“
„Ja, ihr hattet beide Glück, denn sie spricht nicht oft und dann auch nur zu denen, die auch zuhören.“
„Wie die Aliens.“
„Wo wohnst du eigentlich?“. Sie stoppte an der Kreuzung der Gänge um ihren Standort zu finden.
„Ich wohne seit einem Jahr in einem Ford Galaxy, Teil eines Zeit, Schrägstrich, Konzeptkunstprojekts.
Ich lebe für den Augenblick und dokumentiere das ständig.“
„Was suchst du?“ Langsam drehte sie sich um.
„Weiss nicht. Gehen wir einfach weiter.“
„Was treibt dich denn nach Fresno?“, fragte sie und interessierte sich für die Blusen.
„Was? Wie schon gesagt, Schwester. Ich kam hierher mit einem Freund wegen eines Brandes in
seinem Elternhaus und weil niemand wusste, wo sie geblieben waren. Ich liess ihn vor einem Café
im Zentrum aussteigen. Er braucht einfach einige Zeit für sich. Ich wollte die Gelegenheit nutzen
und beschloss Fresno bei Nacht zu erleben, zumal ich noch nie hier gewesen bin.“
„Du kommst aus Sacramento und warst hier noch nie?“ Sie griff von Bluse zu Bluse, bis sie sich
der Kleiderabteilung zuwandten.
„Ja, man kann so viel machen in dieser Stadt.“ Er lachte ironisch. „Ausserdem hatte ich ’ne Autopanne,
und die Leute waren nett. So beschloss ich zu bleiben.“
„Den Witz kenne ich auch. Wird der dort immer noch erzählt?“ Sie prüfte einige flauschige Bademäntel
auf dem Ständer gegenüber.
„So ist es. Jedenfalls, bevor ich im Galaxy wegpenne, dachte ich mir, gehe ich mal hin und schaue
mir die Ruine an; aber ich hatte vergessen, mir von Denver die Adresse geben zu lassen. Also sehe
ich im Telefonbuch nach und darin steht fünfmal der Name Griess. Ich denke Fresno ganz gut kennen
lernen zu können, wenn ich zu allen gehe und schon beim ersten Versuch: Bingo! Ein Haus mit
einem Loch im Dach und eine Familie in Trauer.“
Sie reichte ihm einen weissen Bademantel in Übergrösse.
„Um diese Zeit“, er hielt inne um den Stoffgürtel vor der Anprobe zu entfernen, „ ist es früh am
Morgen, aber noch dunkel; denn es ist Winter und regnet, und ich werde müde. Deshalb stelle ich
den Wagen auf der anderen Strassenseite ab, ruhe mich aus, rauche einen Joint und falle auf dem
Rücksitz in Schlaf. Doch plötzlich sehe ich Licht und ein Auto in die Ausfahrt einbiegen.“
„Eine Frau steigt aus, weil anscheinend die Elektrik des Garagentür.ffners nicht mehr funktioniert.
Zunächst versucht sie die Tür mit der Hand zu öffnen; aber sie bewegt sich nicht. So läuft die
Mutter also zur Haustür.“ Er legte den Mantel ab, hielt ihn zur Probe in die Höhe und warf ihn zurück
auf den Ständer. „Er ist nichts für mich. Komm hier herüber!“, sagte Icky und lief auf die andere
Seite. „Hier gibt’s tolle Sachen.“
Freedom schlenderte durch den Gang um Icky und seiner Geschichte zu folgen.
„Jedenfalls sehe ich, dass sie sich nicht auskennt. Ich kann das Loch von der anderen Strassenseite
aus sehen. Als sie zur Ecke des Hauses kommt, stellt sie fest, dass die Tür fehlt und nur noch
Reste des Wohnzimmers vorhanden sind.“
„Weshalb wusstest du es und sie nicht?“
„Mein Freund war von seiner Schwester angerufen worden. Sie wusste von dem Brand, konnte
aber ihre Eltern nicht erreichen.“ Als Icky merkte, dass sie sich nicht konzentrieren konnte, weil sie
ein Paar Reithosen betrachtete, fragte er: „Kannst du es dir. warum sie es nicht wusste?“
Sie blickte Icky wieder an.
„Sie wusste es nicht, da sie mit ihrem Mann in der Notfallstation war. Mein Freund berichtete mir,
als wir Java-Kaffee tranken, dass er sich bei einem Unfall einen Bauchmuskel überdehnt hatte. Ich
sah sie, als sie gerade aus dem Krankenhaus gekommen waren.“
Sie nickte und fragte: Wurdest du interviewt?“
„Ja, ich …“, Icky war kurz verwirrt, „erzählte Ihnen, dass ich mich zum ersten Go-go-Tänzer der
Republik Eureka erklärt hatte. Ich tanze für eine gesündere Gesellschaft.“
„Welche Sprache sprichst du eigentlich?“
„Sacramentoerisch. Warum?“
„Weil du manchmal so poetisch formulierst.“ Sie ging hinüber zum Damenjeansständer. „Ich habe
nicht die Wahrheit gesagt, als ich dir sagte aus La-La-Land zu kommen und dass Kalifornien schön sei.“
„Das hast du gesagt, du Lügner.“
„Ja, gerade was du hören wolltest.“ Sie nahm weitere Kleidungsstücke in Augenschein. Wie war
das Ende deiner Geschichte?“
„Die gibt’s nicht.“ Er zog von dem Stapel einige Hosen, die ihm gefielen. „ Die Mutter war völlig
ausgeflippt. Sie rannte schreiend zum Auto zurück, in dem ihr Mann sitzen geblieben war, klopfte
auf die Windschutzscheibe und rief ihm etwas zu.“
„All das hast du gesehen?“, fragte Freedom und hielt eine weisse Latzhose hoch.
„Ja, wie gesagt, habe ich alles durch das Autofenster gesehen.“
„Ich glaube, ich habe was gefunden, das man färben könnte. Was meinst du?“ Sie hielt die Hose
an ihren Körper. „Glaubst du, die könnte passen?“
Icky nickte zustimmend.
„Was hat sie also gemacht?“
„Plötzlich taucht eine andere Frau auf. Sehr merkwürdig, denn erst später wurde mir klar, wer sie
eigentlich war. Keine Ahnung, woher sie gekommen war.“
„Halte mal kurz diese hier!“ Freedom ging zum Eingang zurück und kam mit dem Einkaufswagen
wieder. „Was? Sie war von irgendwo her gekommen?“ Die Hose legte sie in den Metallkorb, liess den
Einkaufswagen in der Mitte des Ganges stehen und lief weiter.
„Ja.“ Er folgte ihr und sprach lauter oder leiser je nach der Entfernung zu ihr. „Ich glaubte, sie sei
eine Verwandte oder gute Bekannte der Familie, denn sie umarmte die Mutter, setzte diese auf den
Rücksitz und rannte zum anderen Auto. Dann wurde mir klar, dass sie in dem rosaroten Cadillac vor
dem Nachbarhaus gesessen haben musste.“
„Kann ich mir vorstellen.“ Sie prüfte die verschiedenen ziemlich wertlosen Sachen, die auf den
Kleidungsständern hingen.
„Aber die Mutter stürzt aus dem Wagen und rennt ins Haus. Nachdem die Tochter zurückgekommen
ist, springt sie in das Auto ihrer Mutter, startet, setzt zurück und stellt dann erst fest, dass
ihre Mutter verschwunden ist. Sie bremst, bleibt einige Zeit sitzen, steigt aus und geht ins Haus. Beide
kommen mit einer Menge Kram wieder heraus, den die Mutter auf den Rasen fallen lässt, bevor sie
wieder ins Haus geht.“
„Ich möchte mir Schuhe angucken. Wo ist die Abteilung?“, fragte Freedom und zeigte auf einen
mobilen Popkornröster auf einem Regal mit vielen preislich herabgesetzten Haushaltsgeräten.
Icky folgte Freedom und nahm einen roten Wachsstift aus einer Zigarrenschachtel mit Zeichengerät
für Kinder. „Ich glaub’, da drüben. Zweite-Hand-Läden sind ja alle gleich.“
„Die Tochter verstaut die Sachen im Auto und sammelt das auf dem Rasen Liegende auf, bis sie
keine Lust mehr hat, wohl weil es regnet und ziemlich kühl ist. Dann sucht sie im Haus nach der Mutter.“
„Ich versteh’s nicht. Woher weisst du, dass sie Mutter und Tochter sind?“ Freedom blieb stehen
um sich eine purpurrote Chiffonbluse auf einer Schaufensterpuppe näher anzusehen. „Wäre die was
für mich?“
„Sieht nicht schlecht aus. Wie teuer?“
„Sieh mal!“ Sie zeigte ihm das Preisschild. „Die wissen, was Frauen kaufen möchten.“
„Kein schlechter Preis!“ Icky entkleidete die Puppe.
„Genau meine Grösse und schmal geschnitten. Daran hängt ein gelbes Preisschild. Was bedeutet
denn das?“
„Sie verdoppeln den Preis und runden ihn auf drei ab.“
„Ich möchte sie haben.“ Sie hängte die Bluse über einen Arm. „Wo finde ich einen Spiegel? Ich
sollte sie anprobieren.“
„Wahrscheinlich dahinten irgendwo.“
„Woher wusstest du denn, dass die beiden verwandt sind?“
„Hab’ ich nur vermutet. Na ja, später traf ich meinen Freund Denver. Von ihm habe ich’s dann erfahren.“
„Oh, phantastisch!“ Sie rannte zum Schuhstand und griff sich ein Paar goldfarbene Ponyboots,
bevor jemand sie sich schnappen würde. „Hoffentlich passen sie auch.“ Sie setzte sich auf einen Hocker
und zog ihre durchnässten schwarzen Lederstiefeletten aus.
„Jedenfalls hat seine Schwester die Nase voll und holt die Mutter, die etwas nach einer Medienanlage
Aussehendes trägt, und überredet sie das Ding liegen zu lassen und stösst sie förmlich ins Auto.
Ich konnte sie herumfuchteln sehen; aber ihrer Tochter gelingt es loszufahren, bevor sie wieder hätte
flüchten können.“
„Was hast du gemacht, als das Drama zu Ende war?“ Sie zog ihre nassen Stiefel aus.
„Als Zeuge dieser Familientragödie war ich natürlich sehr interessiert daran dem Ganzen auf den
Grund zu gehen. Leider ereignete es sich vor dem starken Regen. Doch sonst hätte ich ja keine
Geschichte erzählen können.“
„Liebe Kunden! Wir bitten Sie um Ihre Aufmerksamkeit“, verkündete eine Frauenstimme durch
die Lautsprecher. „Ich möchte Sie auf die heutigen Sonderangebote aufmerksam machen; zehn Prozent
Ermässigung auf blau gekennzeichnete Artikel, dreissig Prozent auf alle roten und fünfzig Prozent
auf alle gelben, ausserdem in der nächsten Stunde fünfzig Prozent auf Bücher und Zeitschriften!“
„Toll, fünfzig Prozent weniger für die Bluse! Ich shoppe wahnsinnig gern.“
„Möchtest du das Bücherangebot sehen?“, fragte Icky. „Wo befindet es sich?“
„Vielleicht oben“, antwortete sie, noch mit den Stiefeln beschäftigt.
„Schauen wir mal. Ich habe einmal zehn Dollar in einer Enzyklopädie aus der Zeit der Jahrhundertwende
gefunden.“
„Ich möchte aber nicht in Lexika nach Geld suchen. Ist deine Geschichte beendet?“ Sie steckte
ihren rechten Fuss in einen Stiefel.
„Ach ja, wo bin ich stehen geblieben? War wohl k. z.E.V. (kurzzeitiger Erinnerungsverlust)“, sagte
Icky und tippte mit dem linken Zeigefinger an die Stirn. Passiert halt nach zu viel Drogenkonsum.“
„Im Haus.“
„Richtig! Es ist schon seltsam in einem fremden Haus zu sein. Ich liege also auf ihrer verbrannten
Couch im Wohnzimmer und starre durch das Loch in der Decke ins Freie und höre die Regentropfen
hereinprasseln.“
„Sie passen!“ Freedom stand auf, lief durch den nächsten Gang und drehte sich plötzlich um ihr
glitzerndes Schuhwerk zu belasten.
„Das nächste, an was ich mich erinnere, ist, dass ein Auto in die Auffahrt kommt und Scheinwerferlicht
in das Haus fällt. Mir wird etwas mulmig, denn man würde ja vermuten können, ich wäre
der Brandstifter.“
„Diese Stiefel sind wunderbar! Sie wurden wirklich zum Laufen angefertigt“, sagte sie und stolzierte
flink den Gang auf und ab. „Willst du denn nichts kaufen?“
„Ich habe nicht ernsthaft geschaut. Ausserdem kaufe ich nicht, sondern ich empfange. Mein
Freund erhielt die Feuerwehrjacke, als ich für Dorothea Puente arbeitete.“ Er blickte flüchtig auf die
Reihe gebrauchter Schuhe. „Eine interessante Geschichte; aber darüber ein anderes Mal.“
„Was hältst du denn davon?“ Sie setzte sich und streckte ihre Füsse aus.
„Grossartig, sie sehen grossartig aus!“ Er beobachtete, wie Freedom die Stiefel auszog. „Also ich
schleiche ins Schlafzimmer und verberge mich unter dem Ehebett. Überall riecht’s nach Rauch und
regnet’s rein. Und dann Geräusche! Der Kühlschrank wird geöffnet und jemand trinkt ein Bier oder
einen Saft, dem beim Öffnen einer Dose entstehenden Ton nach zu urteilen. Dann setzt sich dieser
Mensch etwa eine halbe Stunde hin.
„Meine Güte, nur Stehlen ist billiger!“ Sie hielt einen Stiefel hoch um Icky den Preis auf der Sohle
zu zeigen.
„Dann höre ich einen Rülpser und erkenne, dass er von einem Mann stammt.“
„Haben Sie’s dann erfahren?“
„Ich liege unter dem Bett und höre nichts mehr, so dass ich es wage mich etwas zu bewegen, schalte
meine kleine Taschenlampe an, und da liegt ja einiges: eine halbvolle Flasche Whisky, eine angebrochene
Schachtel Zigaretten, ein Pornoheft, ein seltsamer noch unausgepackter Dildo, eine angefangene
Tube KY-Gel und Schuhe! Sieh dir die mal an!“ Er hielt ein Paar weisser Pierre-Darwin-Tanzschuhe
hoch. „Ich hab’ es geschafft!“ Er war noch immer ganz überw.ltigt von seinem überraschenden Fund.
„Phantastisch!“ Freedom stand auf um sie besser zu sehen. „Aber ich weiss nicht recht; sie scheinen
etwas zu klein zu sein.“ Sie ging zur Seite, als Icky näher trat, setzte sich und stiess seine schwarzen
Lederschuhe fort. „Erzähle mir von Gogo.“
„Langsam, die Geschichte ist noch nicht beendet.“ Er liess seinen rechten Fuss in einen Tanzschuh
gleiten. „Möchtest du wissen, was ich gemacht habe?“ Er blickte zu Freedom auf.
„Ich hielt die Schuhgeschichte für abgeschlossen.“
„Nein, ich liege noch immer unter dem Bett gefangen und höre ein Rumoren in der Küche, und der
Typ läuft hin und her.“ Icky zog beide Schuhe an und prüfte, ob sie passten. Wunderbar, sie passen!”
Er setzte sich, nahm den rotten Wachsstift und notierte eine Preis auf die Sohle eines der alten nassen
Schuhe.
„Icky!“
Er schnürte die Schuhe zu, stand auf und sah das Licht ihrer Kamera im Spiegel. „Ladendiebe in
Aktion.“
„Ich werde die Stiefel tragen.“ Sie packte die Kamera wieder ein und nahm auf dem Hocker Platz.
„Hast du immer die Kamera bei dir?“
„Fast immer. Ist ja mein Beruf. Also du liegst immer noch unter dem Bett?“
„Ja, jedenfalls …“Er nahm seine alten Schuhe und stellte sie in die Lücke auf dem Schuhregal. „Das
geht noch eine Weile so weiter und ich nehme einen kräftigen Schluck Whisky.“
„Sehen wir mal nach Hemden!“ Auf dem Weg zur Herrenabteilung legte sie ihre alten Schuhe und
die Bluse in den Einkaufskorb und blieb stehen um den Stapel Leggings zu durchstöbern. Probier die
doch mal an!“ Sie hatte ein Paar weisser Strumpfhosen ausgesucht.
„Nein, ich trage keine. Ist die Geschichte überhaupt interessant?“
„Ja, fahre nur fort!. Ich kann zuhören und gleichzeitig nach Sachen schauen.“
Icky räusperte sich. „Der Mann kommt mit einer grossen Taschenlampe herein, durchwühlt die
Schubfächer, schaut ins Elternbadezimmer. Ich bin froh wie ein Teufel im Freudenhaus, dass ich mich
nicht in der Dusche versteckt habe. Schliesslich setzt er sich aufs Bett, legt sich hin und macht sich’s
gemütlich.“
„Wie gefällt dir das?“ Sie hielt einen gehäkelten Umhang mit Spitzen hoch.
Icky zeigte sein Missfallen und sie ging zum nächsten Spiegel um sich ein eigenes Urteil zu bilden.
„Meinst du, ich sollte die Latzhose nehmen oder eher eine Kombination aus Hose und Pullover
wählen, wie unpraktisch dies auch wäre?“
„Entscheide dich für das Zweckmässige!“
Sie ging lächelnd zu Icky hin. „Was passierte dann?“
„Nach kurzer Zeit fängt er an zu schnarchen.“
„Du bist also wirklich gefangen.“ Sie durchwühlte noch den Berg mit Schals und Gürteln auf einem
Metallgestell am Ende des Ganges.
„Ich trinke weiter Whisky, so dass es mir geht wie einem Käfer im Freudenfeuer. Irgendwie dämmere
ich weg in der miesen Lage.“
„Das Halstuch möchte ich haben.“ Sie zog einen gelben Kreppschal hervor. „Aber wie hast du’s
geschafft herauszukommen?“
„Ich wachte auf, als ich ihn in der Kommode kramen höre. So langsam bin ich’s leid. Als er endlich
das Zimmer verlässt, krieche ich hervor, schüttle mich ganz wach und bin vor der Eingangstür, als
ich ein Knacken höre. Ich drehe mich um und sehe diesen riesigen Zweizentnermann aus dem Badezimmer
kommen. Er spricht mich im Valley-Dialekt mit ‚Entschuldigung, mein Sohn‘ an und fragt,
ob ich Dee Griess kenne. Sofort lege ich einen höheren Gang ein, denn ich kann’s nicht ausstehen
mit ‚Sohn‘ angeredet zu werden. Also rassele ich einige Bemerkungen zu Respekt und Sozialverhalten
herunter.“
„Mensch, der ist ja lang!“, sagte sie und band sich einen Schal um. „Er muss drei Meter lang und
sechzig Zentimeter breit sein. Man könnte ihn sicher auch als Sari verwenden.“
„Er entschuldigt sich vielmals und wir kommen ins Gespräch. Er sucht Dee Griess und zeigt mir
das Bild einer Frau, die als Kuh verkleidet in einem Auto sitzt. Wir lachen herzlich darüber, denn
unmöglich wäre eine solch verkleidete Person zu erkennen. Ich erzähle ihm, dass ich unter dem Bett
gelegen habe, erwähne den Whisky und wir haben uns verstanden.“
„Ich habe alles.“ Sie wickelte den Schal um einen Arm und wollte den Einkaufswagen wieder
finden. „Möchtest du noch nach den Hemden sehen?“
„Nein, es reicht.“ Er folgte Freedom und liesst nichts in der Geschichte aus. „Also versuche ich
dem armen Kerl zu helfen. Ich halte ihn für einen Freund von ihr, erzähle noch von der Frau im
Cadillac und gebe ihm die Liste mit den anderen Griess-Adressen in Fresno. Er bedankt sich so sehr,
wie ich es noch nie erlebt habe. Er würde sich gern revanchieren.“
Freedom schob den Einkaufswagen zur Kasse hin und stellte die Artikel auf die Theke.
„Nach kurzer Überlegung sage ich ihm, dass ich etwas Geld für Benzin und zum Essen brauche.
In Windeseile holt er einen zerknitterten Hundert-Dollar-Schein hervor.“
„Oh, das ist ja toll!“
„Ja, wirklich. Ich habe sozusagen wirklich im Lotto gewonnen!“
„Ist das alles?“ Der Kassierer schaute Freedom fragend an.
„Nein, die Schuhe noch.“
Icky schluckte trocken und Freedom stellte einen Fuss auf die Theke, damit der Preis auf der Sohle
sichtbar wurde.
„Ja, die Schuhe.“ Er griff in seine Jeanstasche und legte einige Geldscheine hin. „Das reicht.“ Er
hielt eine Hand hoch um Freedom davon abzuhalten weiter in ihrer Handtasche zu suchen. „Ich
zahle.“
„Danke, Mann.“ Sie lächelte. „Ich lade dich zu Kaffee und Kuchen ein. Du wirst es nicht glauben,
aber im Zentrum gibt’s wirklich ein nettes Café.“ Icky steckte das Wechselgeld ein und nahm die Einkaufstüte
mit Freedoms neuer Winterkollektion in Empfang.
„Wir hätten eigentlich einen Schirm kaufen sollen“, meinte Freedom und folgte Icky zum Wagen.
„Wie’s aussieht, hätten wir eher ein Floss kaufen sollen.“ Er schloss so schnell wie möglich die Beifahrertür
auf.
„He!“, rief Freedom ihm über die Motorhaube hinweg zu. „Ich wollte schon immer wissen, wiedu
zu deinem Namen gekommen bist.“
„Komisch, dass du noch nicht gefragt hast“, sagte er beim Einsteigen. „Danach werde ich öfter gefragt.
Das ist eine neue Geschichte. Wir können nachher im Café darüber sprechen.“ Er stampfte mit
den Füssen auf dem Autoboden auf. „Diese Schuhe sind nicht gerade für Regenwetter geeignet.“
„Oh, du hast sie gestohlen! Ich hatte vergessen, dass du sie schon angezogen hattest.“
„Ja, richtig!“. Er ballte eine Hand zur Faust. „Ladendiebe und Lesbierinnen der ganzen Welt, vereinigt
euch und übernehmt die Macht!“ Er startete und liess den Motor aufheulen.
„Die Macht dem Volk!“
Er schaltete einen Gang ein. „Verdammt! Diese Schuhe sind wirklich kein guter Tausch gewesen.“
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