25. nimm meinen kühlschrank in augenschein

 25. nimm meinen kühlschrank in augenschein


Sie genoss den Augenblick, lag allein in ihrem Schlafzimmer, während die Sonnenstrahlen eindrangen;

die cremefarbenen Spitzenvorhänge gerieten bei einem schwachen Windhauch in Bewegung,

und sie erinnerte sich. Ihre Sinne waren in leidenschaftlicher Hochstimmung: die Art, wie die

No-Name-Mentholzigarette aus seinem gespitzten Mund herausragte, als sie Wiederholungen von

Comics im Fernsehen schauten, der seltsame Haarwuchs, den er auf ihrem Körper entdeckt hatte,

die Wärme eines neben ihr schlafenden Mannes, die klebrigen Finger, der kahle Kopf, der gelegentliche

sexuelle Fauxpas, der Duft von Petunienöl auf ihrem Bettbezug und das Kleingeld, das beim

Ausziehen aus seinen Hosentaschen heraus gefallen war.

Gewöhnlich fühlte sie sich angezogen von solchen Typen wie Bill vom Schwimmbeckenputzteam,

immer in Schwimmkleidung und bereit einzutauchen, oder Männern wie ihr erster Ehemann

Kurt, in Uniform und immer bereit zu schiessen. Dieser aber war anders. Einerseits war er ein

lebender Künstler, ein guter Geschichtenerzähler und lustig. Er sah auf eine ungesunde Art irgendwie

gut aus. Er war ihrer Meinung nach eher eine schmuddelige Wüstenratte als ein gestylter Künstlerpirat.

Aber das störte sie nicht. Am wichtigsten war, dass er sanft war ihr zu ihrer Freude viel Zeit

widmete.

Sie hatte ihn vor ihrem Hund Spotting gewarnt, einem hoch gezüchteten Jack-Russell-Terrier, der

jeden angriff, der sich ihm näherte. Nach einer anfänglichen Bellattacke und Überraschungsangriffen

wie dem Biss in eine Achillesferse gelang es dem Künstlertyp das Hausungeheuer zu beruhigen.

Er versetzte es r in Trance dadurch, dass er seine Finger in seine Ohren steckte und ihn dann sein eigenes

Ohrwachs ablecken liess. Diese Vorgehensweise eroberte ihr und Spottings Herz, und der Hund

liess sich problemlos in eine Waschküche einsperren.

Spotting war es jedoch mehrmals gelungen sich zu befreien und während ihres wildenVorspiels

unerwartet aufzutauchen. Was zunächst störte, wurde später sehr lustig, besonders für sie. Schliesslich

setzte das Tier sich durch und zwang die beiden sich in ihrer Liebeskammer abzuschotten.

Sie kicherte, als sie sich an seine Reaktion darauf, wie am Vormittag seine Kleidung zerfetzt wurde,

erinnerte. Spotting hatte diese in Stücke gerissen und sie überall in der Eigentumswohnung versteckt.

Nicht nur Kleidungsstücke waren verschwunden, sondern nur wenige Fetzen deuteten auf deren

frühere Zugehörigkeit hin. Zum Glück besass sie noch genügend Männerkleidung um den Verlust zu

ersetzen. Leider waren nicht einmal seine Schuhe verschont worden. Glücklicherweise legte die Wüstenratte

nicht soviel Wert auf Schuhwerk, zuckte mit den Achseln und stellte fest, dass er nicht zum

ersten Mal ohne Schuhe dastand.

Sie erhob sich langsam in eine Sitzhaltung und schüttelte die Kissen auf, blickte in den Raum und

musterte seine Ausstattung. Das Schlafzimmer war in der Hitze der Leidenschaft auf den Kopf gestellt

worden: Kleidung, Bettwäsche und Decken lagen wahllos verstreut. Der Kühlschrank war in Augenschein

genommen worden und leere Essensbehälter standen auf dem Fussboden verteilt um ihr

Bett herum. Bierdosen und eine halbleere grüne Flasche Gallon-Blush-Chablis befanden sich auf der

rechten Seite, ein Karton mit Ben-and-Skippy’s-Gourmet-Vanilleeis mit Löffel auf der linken. Zellophantüten,

scharf gewürzte Bio-Kartoffelchips und kleine braune Plastikbeutelchen von der Verpackung

der bissgrossen Honignussriegel lagen im Raum herum. Da war eine Schachtel mit Sarah-Bee-

Käsekuchen mit auf dem kleinen, roten orientalischen Teppich liegen gebliebenen Krümeln, und auf

dem Nachttisch links von ihr ein Glas Erdnussbutter mit einer sorgfältig gefalteten Bananenschale

auf dem Deckel. Auf der Hochkommode standen zwei Altarkerzen, deren Flammen fast von dem

schmelzenden Wachs verzehrt zu werden schienen: ein modernes Stillleben, dachte sie, und genoss

die Atmosphäre. Einen Augenblick lang fühlte sie sich im Paradies.


Das war ihr Privatleben, das nur wenige kannten. Sie sehnte sich danach, dass man sich häufiger

dafür interessierte. Sie verspürte Anflüge von Neid angesichts der von ihm genossenen Freiheit, würde

aber von dem Gedanken getröstet, dass wenigstens ein Mensch mutig genug war ein ziel- und zweckgerichtetes

Leben zu leben. Sie strebte danach schöpferisch zu sein, so wie es ihm offensichtlich

gelang.

Der Anfang ihres Lebens hatte nicht unter einem günstigen Stern gestanden, denn sie war zwei äußerst

gegensätzlichen Menschen geboren worden, mit denen sie nie gemeinsam gelebt hatte. Ihre

Jugend war durch ein Hin- und Herpendeln zwischen einer Hippiemutter und einem rechten, christlichen

Vater gekennzeichnet gewesen. Mit sehr jungen Jahren hatte sie einen Militärangehörigen geheiratet

und damit auf einen Schlag ihrem Vater und ihrer Mutter eins ausgewischt. Sie liess ihren

Mann auf dem Luftwaffenstützpunkt zurück und zog wieder nach Sacramento. Ihr Unterhaltsgeld

gestatte ihr eine gute Ausbildung, doch war sie gezwungen in der Zeit ihres Studiums am örtlichen

College mit dem Ziel eines Diplomabschlusses in Geisteswissenschaften als barbusige Go-Go-

Tänzerin im Club 70 zu arbeiten.

Wie das Schicksal so spielte, erhielt sie später eine Beschäftigung bei The Chosen Ones, als ihre

dort als Sängerin tätige Cousine Sally sich kurz entschlossen dem lustbetonten kalifornischen

Lebensstil zuwandte. Rasch musste Ersatz gefunden werden. The Chosen Ones wurden dazu ausersehen

in der Church of Opportunity aufzutreten und ihre Show sollte in ganz Kalifornien im Fernsehen

gesendet werden, eine Gelegenheit, die man sich nicht entgehen lassen wollte. Ohne lange

nachzudenken verabschiedete sie sich von ihrer Karriere des Hüftenschwenkens und widmete sich

stattdessen dem missionarischen Rhythmus.

Natürlich waren alle, die sie kannten, sehr erstaunt über diese Verwandlung und darüber, dass sie

ihre neue Rolle so gut ausfüllen würde. Da sie bei dem Besuch ihres Vaters in die religiöse Welt hineingeraten

war, hatte sie erkannt, was zu sagen war und wann und dass gelegentlich aus der Schrift

zitiert werden musste. Ihre Grenzlinien tarnte sie mit Tupfern fleischfarbener Schminke und versah

ihre Titten mit einem Klebeband um der Illusion erster Knospen der Adoleszenz willen.

Subjektiv war das neue Leben ein Spiegelbild des alten. Doch vermittelten einige Aspekte dieser

neuen Welt vereinfachter Oberflächlichkeit den Eindruck, dass irgendwo eine Spur tief verwurzelter

Perversität lauerte. Nach kurzer Zeit hatte sie herausgefunden, wer am meisten stank.

Anscheinend hatte ihr Chef irgendwie von ihrer früheren Tätigkeit erfahren und verstanden, was

Frauen in ihrer Position tun mussten um zu überleben. Prediger Dans Angebote der Führung und

Rettung waren ihr ein ständiges Ärgernis, so dass sie unentwegt nach Möglichkeiten suchte sein

direktes Eingreifen zu verhindern. Bisher war es ihr gelungen sich ihn und seinen Kreis ähnlich

pervertierter Anhänger vom Leibe zu halten, aber sie wusste, dass mit ihr oder ohne sie die Öffentlichkeit

früher oder später die Wahrheit erfahren würde.

Der Reiz sich vor vielen begeisterten Christen darzustellen hatte sich verflüchtigt. Sie war der aufreibenden

Auftritte im Kalifornischen Längstal leid geworden und träumte von arbeitsfreien Sonntagen.

Sie verabscheute es die dümmlich tragische Figur zu spielen und war des pubertären Geschwätzes

über Menstruationszyklen und Jungfräulichkeit überdrüssig. Auch hatte sie es gründlich

satt denen ihr aufrichtiges Beileid auszusprechen, die wissen mussten, dass es anderen Menschen

schlechter ging als ihnen.

Das Wimmern ihres Hundes vor der Schlafzimmertür unterbrach ihre um sich selbst kreisenden

Gedanken. Sie entschloss sich, sich aus ihrem Vergnügungstempel herauszuwagen, streckte sie ihre

Füsse unter der Decke hervor und, nachdem sie ihre Zehen ausgestreckte hatte, berührte sie den Fussboden

und stand auf. Sie streckte, rieb ihrem Kopf und gähnte so tief, so dass ihr Oberkörper auf den

Boden rutschte. Einige Augenblicke blieb sie vorn übergebeugt, damit Blut in den Kopf strömte. Langsam

atmete sie ein, erhob sich auf die Zehnspitze und wiederholt den Vorgang zweimal, da der Hund

sich weiterhin gegen die Tür warf.


Sie umhüllt sich mit einem übergrossen Bademantel aus babyblauem Chenillestoff und öffnete

die Tür. Spotting sprang an ihr hoch und kläffte vor Freude, wieder mit seinem Frauchen vereint zu

sein, aber seine Zuneigung war nur von kurzer Dauer. Seine Aufmerksamkeit galt sofort dem Schlafzimmer

und er stürzte hinein um fieberhaft nach irgendwelchen feindlichen Gegenständen zu suchen,

die sein Revier befleckt haben könnten.

Da Spotting kurz beschäftigt war, schlenderte sie lässig durch die Wohnung, wobei sie Nahrungsmittelverpackungen

und Kleidungsfetzen zur Seite stiess. Bei der Arbeit mit The Chosen Ones

hatte sie genügend Geld gespart um zu kaufen, war ihr beliebte, obwohl ein beträchtlicher Geldbetrag

vom Reverend für Erbauungszwecke abgezogen worden war.

Sie lächelte über den um sie herum angehäuften Erfolg: eine Ansammlung von neuem Spielzeug,

wo vorher nichts war, Lavalampen, ein weichflockiges Sofa, orientalische Teppiche, ein Entertainment

Center im Wohnzimmer, ein Whirlpool im Bad, ein eletrischer Salattrockner, ein mit Solarenergie

angetriebenes Tranchiermesser und eine Kombination aus Brotbackmaschine und Elektrotopf für

Eintöpfe. Sie fand es schwer sich noch mehr zu wünschen.

Spotting kam ihr nachgerannt mit einem zerrissen grünen T-Shirt in der Schnauze, aber bevor sie

es wieder finden konnte, war er schon durch die Küche geschossen und durch die Hundeklappe in

der Hintertür. Sie hatte kurz geglaubt, wenigstens ein Kleidungsstück ihres Kunstfreundes zu retten,

aber leider übte ihr Hund noch eine beträchtliche Kontrolle über ihr Leben aus.

Bei früheren Wohnungen hatte Spotting Nachbarn, Postboten, Gärtner und Fussgänger angegriffen

und sie zu einer unerwünschten Mieterin werden lassen. Sie liebte ihren Hund, aber das Leben

mit ihm war gesellschaftlich zur Abschreckung geworden. Es wurde so schlimm, dass sie niemanden

mehr einladen konnte, aus Furcht, er würde die Gäste zu Krüppeln verunstalten.

Spotting war ein Opfer der neurotischen Welt der Zäune und Autos der Menschen. Durch Inzucht

war er unfähig sich an die dauernden Erschütterungen des modernen Lebens anzupassen. Als Welpe

war er überanstrengt worden, wie ein Haustierpsychologe im Fernsehen sagte und dies hatte seinem

Charakter geschadet. Sie hatte erfahren, dass der Hund unter posttraumatischen Störungen durch

Stress gelitten hatte, obwohl sie vorher gedacht hatte, dass so etwas eher eine Störung war, die aus

dem Krieg heimkehrende Soldaten erleiden wurden. Sie gestand sich ein überzeugt zu sein, dass sie

auch bei Haustieren auftreten wurde und lies ihn einmal im Monat behandeln. Zu ihrem Erstaunen

vermochte die medikamentöse Behandlung die Stimmungsschwankungen des Hundes zu beeinflussen

und es gelang ihr ein wenig mehr Lebensqualität trotz Spottings lebhaften Charakters wieder

zu gewinnen.

Sie öffnete die Fliegengittertür und trat auf den Innerhof hinaus. Sie warf einen Blick auf die Pflanzen

und untersuchte, welche von ihnen Wasser brauchten, indem sie jeweils einen Finger in den

Boden steckte. Sorgfältig vermied sie Augenkontakt mit den Nachbarn, von denen die meisten Spottings

Opfer gewesen waren, bevor sein Zustand diagnostiziert und behandelt wurde. Mehrmals hatte

sie sogar verärgerte Nachbarn bitten müssen nicht das Tierheim anzurufen um ihren Hund abzuholen.

Das war die Zeit vor der Einnahme des Mittels ‚Doggy Downers‘.

Sie machte einen Rundgang durch ihr Anwesen, lief barfuss über den Rasen und mied vorsichtig

die Stellen mit Fingerhirse. Am Briefkasten bemerkte sie eine Luftspiegelung durch Hitzewellen, die

von der schwarz geteerten Strasse vor ihrem Grundstück aufstiegen. Das Tageslicht war sehr intensiv,

sodass sie ihre Sonnenbrille vermisste. Sie zog das Werbematerial heraus und setzte die rote Metallflagge

des Hebelbriefkastens herunter. „Spotting!“, rief sie mit falscher englischer Intonationt; daher

stammte der Name.

Ihr Hund kam mit irrer Geschwindigkeit um das Gelände herumgerannt. Er trug eine grüne Gartenschlauchdüse

aus Plastik. Er blieb nicht stehen, sondern rann beständig im Kreise, bis er schliesslich

den Gegenstand seiner Raserei vor ihren Füssen fallen liess und davon rannte. Sie nahm sie auf

und überlegte, von welchem Nachbarn er wohl die Düse entwendet hatte und hoffte, dass niemand an


ihre Tür klopfen würde auf der Suche nach dem gestohlenen Gartengerät. Die Düse warf sie dann einfach

auf den Rasen. Plötzlich erschien Spotting wieder von irgendwoher, schnappte sie sich und rannte

schnell in die Gegenrichtung.

„Spotting!“, rief sie wieder. „Spotting, komm her, aber sofort!“ Aber der verrückte Hund reagierte

nicht.

Sie kehrte in die Wohnung mit Klimaanlage durch die Vordertür zurück, die nach dem Verschwinden

der Wüstenratte unabgeschlossen geblieben war. Nach der Trennung von wichtiger und

unwichtiger Post zog sie eine Postkarte von ihrer Mutter hervor. Wie gewöhnlich enthielt sie wenig

Information über das Baummotiv auf der vorne Seite und die Skizze einer Kerze auf der Rückseite

mit Streichen, die einer Flamme einweichen, wodurch Hitze dargestellt werden sollte, hinaus. Den

Kunstgegenstand stellte sie auf den Kaminsims neben die anderen.

Spotting kam durch den Haustierdurchlass in die Küche zurück und rannte wimmernd durch das

Haus um gefüttert zu werden. Obwohl sie frustriert war wegen der Manipulation durch solch primitive

Überlebensinstinkte ihres Hundes, warf sie den Packen Postsendungen auf den Kaminsims und

ging in die Küche.

Sie öffnete den Kühlschrank und stellte fest, dass die Dose Ruffina Dog Chow fehlte. Danach

schaute sie sich in der Küche um und entdeckte neben der Mikrowelle eine rosarote und grün umrandete

Dose, die, wie sie wusste, leer war. Der Hund wuselte zwischen ihren Beinen herum und

ärgerte sie damit weiter. Lustlos durchsuchte sie die Schränke in der Hoffnung etwas zu finden, das

ihren Penisersatz zu befriedigen vermochte. Auf der Jagd nach Hundefutter wurde sie selbst hungrig

und suchte krampfhaft nach Bagels und Doppelrahmkäse.

Spotting, der instinktiv erkannte, dass ihm bald etwas zu fressen gegeben wurde, konnte seine Erregung

nicht bremsen, sprang von einer Seite der Küche zur anderen und bellte, darauf bestehend

seine Nahrung sofort zu bekommen. Zeitweilig beruhigte sie sich und ihren Hund mit Stücken

scharfe italienischer Pfeffersalami, die sie auf der Arbeitsplatte hatte liegen sehen.

Schliesslich fiel ihr ein, wo die kürzlich gekauften Lebensmittel lagen. Sie befanden sich noch unausgepackt

in Plastiktüten in der Waschküche. Sie entdeckte das frische Hundefutter und öffnete die

Dose mit dem Kombigerät aus elektrischem Dosenöffner, Messerschärfer und Vierwellen-Radioapparat.

Sie schüttete die Hundenahung in seinen Fressnapf und fügte in der Mitte zur dekorativen

Krönung noch eine Doggy-Downer-Tablette hinzu. Ihr hungriges Haustier war mittlerweile ganz mit

seiner brennenden Schnauze beschäftigt, rannte umher, wobei er immer wieder Wasser aus einem

Napf schlürfte, schüttelte den Kopf und nieste heftig um seine Schmerzen loszuwerden.

Sie stellte die Schale auf den Fussboden, während sie zu Spotting sprach in kürzeren als Sechssilbensätzen.

Dann streichelte sie ihren Jack-Russell-Terrier, während er in die lauwarme, schleimige

Fleischmasse biss, anscheinend auf der Suche nach dem einzigen festen Stück, das ihm Freude

bereiten würde. Gesättigt fiel er, der mit ihrer Hilfe ein erfülltes und glückliches Hundeleben lebte,

bald in Tiefschlaf,

Sie stand so rasch auf, dass ihr schwindlig wurde und sie sich einen Augenblick an die Küchenwand

lehnen musste um das Gleichgewicht wieder zu gewinnen. Als der Bann gebrochen war, ging

sie zum Arbeitstisch um sich ein ordentliches Frühstück zuzubereiten. Sie knabberte an einem Stück

trockenen Brotes, erhitzte Milch auf dem Elektroherd und wartete auf den Durchlauf des Espresso.

Dann schüttete sie das Gebräu in eine grosse Keramiktasse und bestäubte den Milchschaum mit Zimt

und Schokoladepuder, In ein Milchgefäss gab sie ein Viertel des Inhalts eines Müsli-Beutels; fügte

noch Bananenscheiben hinzu und eine beträchtliche Portion fettfreier Sojamilch aus einem riesigen

Plastikbehälter.

Das fertige Frühstück stellte sie auf ein kleines Plastiktablett und als sie gerade ihr Liebeszimmer

betreten wollte, fiel ihr die Zeitung ein. Sie stellte das Tablett auf eine Vinylfussstütze neben dem Sofa

und rannte nochmals hinaus. Die Morgenausgabe der Sacramento Bee lag unter dem Kamelienbusch.


Ameisen krabbelten über sie hinweg. Den Schmutz und die Tierchen bürstete sie ab und gab der Bee

am Geländer noch einen Schlag um sie völlig von den Insekten zu befreien und betrat das Haus.

Frühstücksgenuss im Bett an einem faulen Wochentagmorgen im Sommer. Das Geräusch von Laubpustern,

der Geruch von brutzelndem Schinkenspeck aus der Küche der Nachbarn und der Duft der

blühenden Orangenbäume vor ihrem Schafzimmerfenster wehten durch die Luft. Sie schüttelte die

Kopfkissen und machte es sich auf ihrem Thron bequem.

Als sie sich das Frühstück schmecken liess, träumte sie von dem Augenblick, in dem sie zufällig

den kreativen Künstler wieder treffen würde. Er hatte keine Telefonnummer hinterlassen, sodass er

nicht erreicht werden konnte. Er erklärte, sich in einer Situation ohne enge Beziehung zur Welt zu

befinden und auch in Zukunft so leben so wollen. Er erwähnte, dass er in einem im Grid gebauten

Galaxy lebte und gab die Adresse eines Freundes an, mit dem er gelegentlich Kontakt hatte.

Vielleicht würde sie bald einen Grund finden in die Innenstadt zu fahren und eines der zwielichtigen

Cafés aufzusuchen, wo sich Drogensüchtige aufhielten, Möchtegernkriminelle verschlüsseltes

Englisch sprachen und sich auch mit den Händen gestikulierend verständigten. Sie sassen gewöhnlich

draussen unter einem Zitlantrolimonade-Schirm mit Zinkoxidkreme auf ihren Nasen, schlürften

aus frisch gerösteten Eritrea-Bohnen hergestellten Expresso in winzigen Porzellantassen, der mit

einer Zitronenschale serviert wurde. Er erzählte dann immer eine seiner fantastischen Geschichten

über alles und nichts, und manchmal warfen sie dann ihre Köpfe zurück und lachten unbändig.

Ihre Gedanken schwebten weiterhin in Richtung des Künstlers, der ein geheimnisvoller Typ war.

Er hatte ihr bedeutungsschwere Blicke zugeworfen, als ob er mehr sagen wollte, als er konnte. Vielleicht

war er in sie verliebt, vielleicht verliebte sie sich gerade in ihn. Sie verlangsamte ihre Gedankengänge

um ihre inneren Schwingungen zu spüren, aber ein eisiger Wirklichkeitsstoss durchzuckte

plötzlich ihren Unterleib.

Ich weiss gar nichts über dieses Liebesdingens, gestand sie sich ein. Es ist verrückt: Frauen sind

hinter Männern her und Männer hinter Frauen. Sobald sie erreicht haben, was sie wollten, wollen

sie’s nicht mehr. Entweder bin ich einen Schritt zurück oder einen voraus. Das Leben wäre leichter,

schlussfolgerte sie, wenn ich ohne Hormone geboren wäre.

Sie riss sich los von diesen negativen Ideen, indem sie die Melodie eines ihr immer wieder in den

Sinn kommenden Liedes summte. Gedanken zu Ruhm und Glück begannen in ihr Bewusstsein einzudringen.

Sie dachte über ihre Zukunft nach, über Freud und Leid in den Schlagern, die sie schreiben

würde.

Ihre Zeit als eine ‚Chosen One‘ wurde bestimmt durch den mittelmässigen Erfolg, den sie bei gewissen

Männern im gesamten Längstal erzielt hatte. Ihre Verehrerpost bestätigte diese Tatsache. Oft

erhielt sie Heiratsangebote, weil sie für den christlichen Glauben sang und so verlockend einige Appelle

dieser rechtsextremen, weissen, männlichen Suprematisten auch waren, so wusste sie doch,

dass es die gleichen Leute waren, für die sie im Club 70 ihre Hüfte geschwunden hatte.

Fragwürdige Ideen kamen ihr ins Bewusstsein darüber, wie sie einen Skandal hervorrufen könnte

durch die Entlarvung der Church of Opportunity, First Christian als Schwindel, der vor langer Zeit

ersonnen worden war von einem Schnellsprecher, um den im Valley grassierenden Mangel an Spiritualität

auszubeuten. Ihr war klar, dass Sex nicht fehlen durfte, aber mit wem oder bis zu welchem

Grad noch nicht, denn der entscheidende Augenblick war noch nicht gekommen. Überzeugt war sie,

dass ein Skandal sexueller Art sicher die manipulative Triebfeder wäre, die ihr zu landesweiter Berühmtheit

verhelfen würde. Sie empfand Stolz so raffiniert zu sein.

Beim Cappucino-Schlüfen malte sie sich die Höhen und Tiefen ihre Karriere aus. Sie stellte sich

vor, ihren Schicksalsweg mit dem Kunsttypen zu gehen, den sie als ihren Assistenten und Liebhaber

anstellen würde. Diese Idee liess ihre Libido vor Erregung zittern. Aber ihr Weg endete, als ihr bewusst

wurde, dass er praktisch spurlos verschwunden war, wenn man absah von dem vagen Hinweis


auf seinen Aufenthalt im Grid. Kurzum, es gab keine Möglichkeit mit ihm in Verbindung zu treten,

und nur durch Zufall würden sie sich jemals wieder begegnen.

Wir müssen uns wiedersehen, dachte sie und hörte, wie Spotting sich bellend näherte.

„Ist jemand zuhause?“ Es war ihre entfernte Cousine Sally, die mit ihr zusammen in Sacramento

gewohnt hatte. Sie kehrte gerade von einem kurzen Aufenthalt in Fresno zurück.

„Ich bin im Schlafzimmer.“ Der Hund kam zu ihr ans Bett und erfüllte den Raum mit seiner Energie.

„He, Crystal.“ Sie erschien an der Schlafzimmertür und winkte ihr zu.„Na, wirklich Mädchen, du

erweckst den Eindruckte von Behaglichkeit. Was hat sich ereignet?“, fragte sie und nahm das Stillleben

in Augenschein.

„Ja.“ Sie lächelte. „Ich hatte Krach mit einer Wüstenratte.“

„Ich auch, ausser dass meine ein Automechaniker war, und zwar vor einigen Nächten.“

„Ich bin eigentlich froh, dass die nicht hier gewesen bist. Es wäre unangenehm gewesen.“

„Ja, nun, was soll ich sagen?“ Sie zuckte mit den Schultern und hielt die Handflächen in die Luft.

„Dein Auge sagte „Guten Tag. Ich lief ihm über den Weg vor einem Café im der Stadtmitte von Fresno.

Ist das nicht merkwürdig, oder? Da liegt Geld auf dem Fussboden.“ Sie bückte sich, hob einen Penny

auf und warf ihn auf Crystals Bett. „Sieh mal, ich habe letzte Nacht nicht viel Schlaf gefunden und ich

bin erschöpft vom Autofahren. Ich werde ein Nickerchen machen, bevor ich den nächsten Kommentar

für die ‚Weekly‘ schreibt. Könnte ich mich vorher duschen?“

„Ja, natürlich. Ich spreche dich an, wenn du wieder wach bist.“

„Ihre Cousine schleppte sich aus dem Schlafzimmer und der Hund folgte ihr nach. Crystal sass

einige Augenblicke zufrieden da and wünschte, dass der Zustand andauern würde. Nochmals wurde

sie durch Unmutsäusserungen ihrer Nachbarn gestört, die anscheinend gerade von ihrem Jack Russell

belästigt wurden.

„Spotting!“, rief sie mit ihrem gekünstelten englischen Akzent. „Du kommst sofort her, Spotting.

Spotting!“

„Jerry! Jerry! Jerry!“, kamen die Spechchöre vom Studiopublikum, als die Kamera auf sie gerichtet

wurde, das aufstand und seine Fäuste ballte, bevor sie zu dem in das Studio kommenden Gastgeber

hinüber schwenkte. Crystal hatte ihr Entertainment Center darauf eingestellt sich automatisch

einzuschalten, als ihre Lieblingstalkshow lief. Sie stürzte sich im Bett ab und nahm einen Schluck

Kaffee.

„Good life, Good life, Good life“, sang sie laut und machte es sich gemütlich, um die verbalen

Attacken im Fernsehen zu verfolgen.




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