34. bullenhitzenachmittag

 34. bullenhitzenachmittag


„Hier Kätzchen, Kätzchen, Kätzchen!“ Denver hatte das Badezimmer verlassen und bewegte sich

im Rhythmus des Morgen-Tambas, der von der örtlichen Universitätsradiostation gesendet wurde.

An dem warmen, aber windigen und trüben Herbstmorgen stand er ziemlich deprimiert auf seinem

Balkon und rief nach seinen beiden Katzen.

„Kätzchen, Kätzchen, kommt her!“

Mann, was für ein verdammt schöner Tag, ein Tag, an dem ich mir vor Freude an die Brust klopfen

sollte. Aber mir ist nicht danach. Ich ertrage es nicht im Paradies zu leben.

Der Anbruch des Tages war wirklich wunderschön. Schon zwitscherten Vögel in den Bäumen. Aus

der der Küche der Nachbarn schwebte frischer Kaffeeduft herüber. Auf den Strassen war es noch ohne

Verkehrsgeräusche ruhig. An Wochenenden herrschte im Grid traumhafte Stille. Es schien, als ob

viele Bewohner in den Cafés Gebäck genossen und die lokalen Blätter „The Bee“ und „SuttersWeekly“

lasen.

„Ich kann’s nicht ertragen. Die USA langweilen mich. Ein leicht brennbarer Stoff muss her. Er

winkte Janet zu, die ihren Garten sprengte. „He, hast du deinen Gehwegabschnitt gesäubert?“

„Ja, von dem Zeug von deinem Baum. War nur’n Scherz!“ Sie zeigte auf den Haufen vermodernder

Ulmenblätter, der auf der Strasse lag, und ging auf Denver zu, der in Boxershorts und in der russischen

Version seines berüchtigten T-Shirts die Treppe herabstieg.

„Du siehst aber verändert aus, ohne Haare! Ich bin fast erschrocken. Mensch, warum hast du das

denn gemacht?“

„Eine ziemlich lange Geschichte.“ Er fuhr sich dabei über den Kopf. „Weil ich mir wie eine nutzlose

Amöbe vorkomme.“ Er wechselte rasch das Thema. „Alle Achtung, euer Garten sieht immer besser

aus!“

„Ja, ich bin schon lange damit beschäftigt. Um all die klebrigen Saft zu entfernen, musste ich stark

schrubben.“

„Mensch, hast du den Beton geschrubbt?“

„Na, ich hatte wenigstens was zu tun.“

„Danke, Janet. Dein Regenbogenbeet macht ja was her!“ Er ging hinüber zu dem Blumenbeet. „Erstaunlich,

wie sich die Farben im Laufe des Tages ändern. Wer hätte das gedacht?“

„Ja, aber ich werde die Pflanzen wohl herausnehmen müssen. denn, wie du siehst, wächst in der

Nähe nichts mehr.“ Sie zeigte auf den Rand. Da standen mal weisse Lilien, aber dieses Jahr ging nichts

auf. Und das Seltsamste ist …“, sie blickte Denver an. „Willst du’s wissen?“ Er nickte. „Fällt dir was auf?“

„Es ist eigenartig, dass die Blumen ihre Farbe ändern, aber vielleicht bin ich altmodisch.“

„Nein, guck mal genauer hin! Manchmal ist es besser nach dem zu schauen, was fehlt.“ Denver

beugte sich vor und studierte die Blumenpracht.“

„Wunderbar! Was soll ich noch sagen? Einfach grossartig!“

„Genau, überhaupt kein Unkraut mehr! Schau mal hier!“ Sie deutete auf eine andere Stelle des

Gartens. „Ich muss überall Unkraut jäten, aber auf dem Regenbogenbeet wächst keins. Ist das nicht

seltsam?“

„Ja, wirklich! Oh, die Wunder der Wissenschaft in Aktion. Stand denn auf der Packung ‚unkrautfrei‘?

„So was Ähnliches. Aber nichts davon, dass auch andere Pflanzen am Wachsen gehindert würden“,

sagte sie und rieb sich mit der Handschuhrückseite am Kinn.

„Hoffentlich fressen meine Katzen nicht davon? Hast du sie vielleicht gesehen?“, fragte Denver

und rief wieder nach seinen geliebten Haustieren.


„Ja, sie sind durch die Gegend gerannt um kleine Tiere zu töten und zu fressen, als ich die Blätter

zusammenkehrte. Aber da sind sie ja.“ Paris und Berlin kamen von der Rückseite des viktorianischen

Gebäudes hervor geschossen.

„Nun, ihr Lieben, kommt mit!“ Er klopfte auf seine Oberschenkel, damit sie ihm folgten. „Los, es

gibt Fressen! Wiedersehen, Janet, nochmals Dank für das Harken!“

„Gern gescheh’n. Wie gesagt, ich hatte wenigstens was zu tun.“ Sie winkte Denver zu und fegte

weiter den Gehweg.

Denver trottete die Treppe hoch; die Katzen rannten vor ihm her und warteten auf das Öffnen der

Gazetür zur Wohnung. Er winkte Janet zu und fragte sich, ob die Frau wohl jemals schlief. Ständig

war sie aktiv. Nachts nähte sie bei laufendem Fernseher oder eingeschalteter Stereoanlage und am

Tag hielt sie sich meist im Vorgarten auf. Er wusste, dass sie regelmäßig Speed nahm wie so viele seiner

gelangweilten Freunde im Grid. Es schien ihm paradox, warum die Menschen im Stadtzentrum

riesige Mengen Kaffee tranken, geschweige denn Speed nahmen, wenn nun wirklich nicht genug in

der Stadt zu tun war, um einen toten Mann neidisch zu machen. Schon während Denver wach war,

beherrschte ihn die Langeweile, dass er nicht wünschte, diese Zeit solle länger dauern. Es gab so

wenige Ereignisse, während er bei Bewusstsein war, dass auch gar nichts ihn veranlassen konnte um

die Schlafdauer zu verkürzen.

Er liess die Katzen herein, folgte ihnen in die Küche und schaltete beim Betreten des Wohnzimmers

mit der Fernbedienung die Lautstärke des Fernsehers niedriger und die Stereoanlage ein.

„Dies ist der K. D.V. S.-Sender aus Davis“, kündigte der Diskjockey an. „Was Sie soeben hörten,

waren ‚Kant be Howe‘ mit ‚Two Ways Around It‘ und ‚Die Hegels‘ mit ‚Synthesis‘. Davor gab’s ‚Butterflies

at the Zoo‘, einen frühen Klassiker von Norma Child. Es folgen die Nachrichten.“ Denver hörte

Radio während des Fütterns und der Zubereitung des Morgenimbisses.

„Mitglieder der Sekte ‚The Yams‘, eine radikale Abspaltung von den Siebenten-Tags-Adventisten,

haben, was Augenzeugen den grössten Massenselbstmord von Akademikern mittleren Alters bezeichneten,

der sich je in dem Staat ereignet hat, begangen. Man fand ihren Führer Tim Lee Sun und fünfunddreissig

Männer und Frauen unbekleidet in friedlicher Position auf Matratzen liegend überall in

dem umgebauten Farmhaus. Anscheinend hatten sie den Tod jeweils individuell in einer ruhigen Ecke

gefunden. Anzeichen von Qual oder Gewalt liessen sich nicht erkennen. Die Tötungsmethoden sind

noch unklar. Nachdem die toten Körper zum Leichenschauhaus gebracht worden sind, werden Gerichtsmediziner

zur Feststellung der Todesursachen Blutproben nehmen und Mägen auspumpen.

Der Sektenführer predigte die Lehre von Selbstliebe durch Selbstverwirklichung. Er setzte den

Mitgliedern Ziele. Offensichtlich wurde ein besonderes Ziel nicht erreicht und als einziger Ausweg

blieb dann nur noch gemeinsame Selbsttötung. Viele Fragen sind offen.

„Die letzte Meldung: In San Ysidro, Kalifornien, betrat ein mittelalter Mann wild fluchend ein Burger-

Queen-Restaurant und erschoss und verwundete mindestens zwanzig Menschen, bevor er von

FBI-Scharfschützen überw.ltigt werden konnte. Eine Zeugin sagte aus: ‚Wenn man sich bewegte,

schoss er sofort.‘ Seltsam berührt, dass sämtliche neun Opfer Frauen waren. Bisher gibt es noch keine

Informationen über eine mögliche Beziehung zwischen dem Täter und dem Fastfood-Lokal. Die Überlebenden

dieses bizarren Massakers werden jahrelang Behandlung benötigen um das Erlebte zu

verarbeiten.

„Unwetter verursachen weiterhin Verwüstungen in verschiedenen Weltregionen. In Frankreich

und Spanien und einigen Gebirgsregionen der USA, wo durch lange ausbleibende Niederschläge

extreme Trockenheit herrschte, wüten die Flammen, die Bäume wie Streichhölzer brennen lassen.

Andererseits brachte die Regensaison in

Ländern wie Bangladesh und Indonesien starke Überschwemmungen. Opfer werden noch von

Bäumen und Dächern geborgen, und der Niederschlag wird noch in den nächsten vierundzwanzig

Stunden anhalten.


„Nun zu den Regionalnachrichten: In Sacramento ist die Kenntnis von Überlebensmethoden am

geringsten. Nur einem von sieben Stadtbewohnern weiss etwas Genaueres über Schutz- und Hilfsprogramme

im Falle eines Notstands. Die Stadt war in den vergangenen Wintern von Überschwemmungen

bedroht, aber die Stadtverwaltung hat jedes Mal Katastrophen verhindern können, und zwar

jeweils durch Flutung eines der entlegenen Vororte. Viele privilegierte Einwohner kennen die möglichen

Gefahren nicht, die das Valley bedrohen, und die Rettungsprogramme ebenso wenig.“

Auf der Veranda explodierte ein Kracher. „Hallo, Denver, ich bin’s“, rief Micky und drehte die

Stereoanlage leiser. „Hast du von dem Scheisskerl in dem Burger Queen gehört?“

„Ja, eben im Radio.“ Denver kam Micky begrüssend aus der Küche. „Wie viele Feuerwerkskörper

hast du denn im Jahr gekauft?“

„Oh, Junge, du hast ja den ganzen Kopf geschoren!“, rief Micky und zog seine kürzlich erworbene

silberne Feuerwehrschutzjacke mit Asbestfutter aus und hängte sie auf den Kleiderständer im

Flur.

„Ja, ich hab’ mich schliesslich dazu durchgerungen.“ Er rieb sich mit einer Handfläche über den

kahlen Kopf und ging ins Schlafzimmer. Beim Zuknöpfen der Jeans kam er zurück. „Ich bin ziemlich

frustriert und fühle mich hundeelend. Jetzt sehe ich wenigstens so aus, wie ich mich fühle. Mein

Liebesleben ist verpfuscht, weil ich an Märchenliebe glaubte, und beruflich bin ich ganz unten, weil

ich nicht wie ein Sklave behandelt werden will. In der Gesellschaft bin ich ein schwarzes Schaf und

kann nichts dagegen tun. Immer bin ich der letzte; ich bringe es einfach nicht. Mit dem Energiefluss

gehen …“, sagte er und zog den Satz in die Länge. „Aber dann fliesst doch nichts. Ich bin’s leid zu

warten, bis etwas passiert. Jetzt will ich’s wissen! Ich bin zu dem Schluss gelangt, Micky,“, sagte er

und wedelte mit den Händen vor sich hin, „dass mein Leben bald zu nichts führt!“

„Aber so ist es, Denver, so ist es, bei mir auch.“ Dabei warf Micky seine Plastikeinkaufstüte auf

den Couchtisch und liess sich in den ockergelben, viel Platz einnehmenden Kunsstoffsessel fallen.

„Mist! Ist es o. k., wenn ich einfach kurz auskotze? Kann ich mit deiner Unterstützung in meinem

Selbstmitleid rechnen?“ Er nahm einen Pullover vom Sofa und zog ihn sich über.

„Ich weiss, es ist ziemlich pathetisch.“ Micky nickte zustimmend. „Sag mal, wie lange eigentlich

versuchen wir schon etwas zu machen?“ Micky zuckte mit den Schultern. „Zu lange! Ich möchte respektiert

werden. Ich bin es einfach satt, all diese Kunstscheisse für die Stadt zu fabrizieren und von

links und rechts Kritik zu erfahren. Lächerlich! Der einzige Grund dafür, all das zu machen, ist die

Langeweile zu überwinden; aber offensichtlich wird diese Art von Entertainment,“, sagte er und zum

Nachdruck schrieb er mit seinen Mittel-und Zeigefingern Anführungszeichen in die Luft, „nicht

benötigt und deshalb fühle ich mich wie ein Freak. Die Leute hier sind wie die Lachsfische im Delta.

Glänzende, glückliche Menschen sind im Sumpf des Lebens zusammengepfercht, zu Tausenden,

Abertausenden; sie winden und krümmen sich, zu Tode gelangweilt, und greifen nach dem Funken

Erhellung, der sie von sich selbst erretten soll.“

„Ruhig Blut, Junge! Du wirst zum Art-Märtyrer, wenn du so weiterpredigst. Hast du was zu trinken?

Meine Kehle ist ein bisschen rau von all dem starken Shit, den ich geraucht habe. Sieh mich an!

Beklage ich mich etwa? Ich lebe im Auto. Heute Morgen, als ich aufwachte, hatte ich kein Geld und

ich bekam …“

„He, du hast noch’n Krümel Honigbrötchen in einem Mundwinkel.“

„Es ist was anderes, eine Herpeswunde!“

„Mensch Micky, ist ja schrecklich!“ Er blickte genauer hin.“ Hast du schon was dagegen gemacht?

Ich habe etwas dabei :Blastox-Creme.“ Er legte etwas angeekelt seine Stirn in Falten. Hast du was drauf

gemacht? He, du trägst ja mein Hemd. Ich hab’ mich schon gewundert, wo es sein sollte.“

„Es ist o.k.“ Micky rieb seine Brust, anstatt eine Hand über die Wunde zu halten, um sein Leiden

zu verbergen. Ich habe dafür Salbe bekommen von der älteren Hauswirtin, die ich kennen gelernt

habe. Sie gab mir einen kleinen Job. Für das Aufräumen ihres Kellers erhielt ich ein wenig Geld und


sie schenkte mir eine Kiste mit Ramsch.“ Er kreuzte seine Beine und zeigte auf seine Zehen. Ich habe

nicht gesehen, was sie alles eingepackt hat. Nachher gucken wir mal.“

„Hast du die Kiste dabei?“

„Nein, ich liess sie im Galaxy. Ich soll noch mal zu ihr kommen, um einen Graben für einen

Komposthaufen auszuheben“, sagte er, während er mit den Füssen wackelte.

„Der Kaffee ist aufgebrüht. Sicher möchtest du eine Tasse.“ Er entschwand in die Küche um seine

Gastgeberpflichten zu erfüllen. „Milch ist nicht mehr da, aber Milchpulverpäckchen. Die habe ich aus

Cafés mitgehen lassen.“

„Kreativ!. Zucker habe ich dabei“, sagte Micky und kramte in seinen Taschen und liess sie auf den

Tisch fallen, „ausserdem Gebäck und eine Zeitung. Sieh mal, als ich heute Morgen glaubte einen Tiefpunkt

erreicht zu haben, zeigte sich das Leben von der positiven Seite und meinen Glauben daran

wieder hergestellt. Mit einem Fuss zeigte er auf die Plastiktüte auf dem Tisch, als Denver mit zwei

Tassen französischen Röstkaffees zurückkam.

„Wie läuft’s denn mit der Jobsuche?

„Mensch, Micky, ich bin noch nicht lange vom Wirtschaftsräderwerk losgekettet.“ Er reichte ihm

eine Tasse. „Ich habe mich etwas umgesehen; aber es scheint so, als ob all die interessanten Cafés, in

denen ich gerne arbeiten würde, genügend Personal haben oder sogar noch abbauen. Weisst du, eine

besonders günstige Stelle werde ich sowieso nie erhalten, weil ich mich flippig kleide und keinen

Wagen besitze. Die Firma Power war meine letzte Chance und da habe ich bis auf einen Tag ein ganzes

Jahr gearbeitet. Völlig unverständlich ist, dass diese Höllenhexen mich rausgeschmissen haben,

bevor mir Sozialunterstützung zustehen würde.“

„Vergiss es! Jeder, der bisher dort gearbeitet hat, ausserdem hast du’s ganz richtig gemacht.“ Er

schaute zu Denvers CD-Sammlung hinüber, bevor er einen Schluck nahm und die Kanne vor sich

hinstellte. „Wir haben alle für Hungerlöhne gearbeitet, werden wie Sklaven behandelt und erhalten

kein Arbeitslosengeld, aber es gibt auch Positives und auch du hast Vorteile davon wie so viele von

uns. Ich sehe das so: Power belohnt dafür, dass wir Power zu der heutigen Weltgeltung verholfen

haben.“

„Ich glaube, ich gehöre zu den Parias.“ Denver setzte sich Micky gegenüber auf die Tweedcouch

und suchte für einen Joint die Utensilien zusammen, die auf dem Tisch verstreut lagen. „Ich bin nicht

dazu ausgebildet um Geld zu verdienen wie z. B. Friseure oder Zahntechniker. Ich habe nur ein

Diplom mit Französisch im Hauptfach und Design im Nebenfach. Was, verdammt, soll ich damit

bloss anfangen? Ein französisch sprechender Raumdesigner? Was für eine grandiose Perspektive!“

„Wie wär’s mit einer Anstellung in der Suppenfabrik?“

„Campbells? Ich möchte nicht bei der Produktion von Tomatensuppe landen! Meinst du das etwa

ernst?“

„Ja, natürlich. Pat arbeitet dort und sie trägt einen Doktortitel in Kosmetikwissenschaft und Bruce

auch, der wohl in Theaterwissenschaft promoviert hat. Sie finden die Arbeitsbedingungen dort nicht

schlecht. Man kann in Teilzeit arbeiten. Sei stellen gegenwärtig ein, denn es ist ja Erntezeit. Ausserdem

ist es Fabrikdosensuppe.“

„Was? Der Art Dresser/Frisör und der Art Fag Stellen Dosenrezepte her, führen Qualitätswarenkontrolle

und Maschinenkontrolle durch. Wie kommt’s denn, dass du nicht dort arbeitest?“

„Weil ich ein Jahr im Galaxy lebe und glücklich als Künstler beschäftigt bin. Die Sache ist allerdings

die, dass ich nicht dafür bezahlt werde. Nun eben“, Micky zuckte mit den Achseln, „die

ungünstigen Bedingungen in einer nicht zivilisierten Gesellschaft zu leben.“

„Ja, erzähl mir mehr davon!“, bekräftigte Denver.

„Was hältst du denn vom Long Center? Das sucht oft Lehrkräfte für die geistig Behinderten. Frag

mal Hossanah, den Art Hippie oder Art Wurst, Ken Wiener! dieser arbeitet schon so lange da, dass

man bei ihm kaum noch unterscheiden kann, ob er Lehrer oder Behandelter ist.“


„Aber das ist weit weg im Süden gelegen. Mit dem Fahrrad würde ich eine Stunde benötigen. Zurzeit

mache ich mir allerdings keine Sorgen. Hast du die ‚Bee‘ dabei?“

„Ja, und und bei Slaveway habe ich etwas Gebäck gestohlen. Möchtest du es aufwärmen?“

„Weshalb hast du das nicht früher gesagt? Gib’s mir rüber! Denver steckte sich den fertigen Joint

hinter ein Ohr, nahm die Schachtel ‚Exquisit‘-Gebäck und ging in die Küche.

„Na, los,“, rief er, „essen wir’s doch auf der Veranda und schauen der Speed Queen bei der Arbeit

zu. Du solltest mal ihr Regenbogenbeet sehen. Das wird noch den gesamten Garten überwuchern.

Wir treffen uns draussen.“

„Nicht so gern! Mir gefällt’s hier drinnen, hier ist’s wärmer und gemütlicher.“ Er lehnte sich zurück.

„In dem Sessel fühle ich mich so wohl wie ein Kapitän im Raumschiff. Nur schade, dass er sich

nicht drehen lässt.“ Er drückte einen imaginären Knopf auf einer Lehne, als ob er zum Maschinenraum

eines Raumschiffs anrufen würde.

„Brücke an Maschinenraum: Wissen Sie, was wir tun müssen? Leutnant Denver, hören Sie?“

„Ja, ich höre.“

„Wissen Sie, was zu tun ist? Wir müssen ein neo-erroristisches modernes Performancestück aus

Kompost schaffen erfolgreich und die Reispflücker von ihren

Felder zu jagen. Wie findest du die Idee? Sollten wir eine Pyramide aus Konservendosen mit

‚Sacramento-Tomato Juice‘ errichten?“

„Moment mal! Ich kann Sie nicht hören.“

„Ich sagte:“, schrie er, „eine Pyramide aus ‚Sacramento Tomato Juice‘-Dosen.“

„Ich hätte noch ‚ne bessere Idee. Wie wär’s mit einem Haufen genmanipulierter Tomaten?“, rief

Denver zurück.

„Wir haben Neon!“

„Man könnte beide kombinieren. Wie ist der Raum in der NoToDo-Galerie?

„Es ist ein Betonraum.“

„Was?

„Ein Betonraum.“

„Micky, schenke Kaffee ein!“, sagte Denver und lief durch die Wohnung mit einem Teller warmen

Gebäcks. „Ode an die Göttin oben“, sprach er und liess fast den Teller fallen. „Woher hast du die Jacke?

Ich wusste nicht, dass es noch etwas gibt, für das es sich zu sterben lohnt.“ Micky sprang aus seinem

Kommandosessel auf und rettete seine Jacke, bevor Denver sie anprobieren konnte.

„Ich hab’ dir schon erzählt: von der älteren Dame, deren Haus ich gereinigt habe.“ Er zog sie an,

folgte Denver nach draussen und sog den Duft des warmen Gebäcks ein.

„Die ist toll!“

„Nicht wahr? Aus einer Hosentasche holte er ein paar Fotos hervor. „Willst du meine neuen Fotoroids

anschauen? Hier ist eins mit der dünnen Kellnerin im ‚Bum ’n Burn‘. Sieht sie nicht krank aus

verglichen mit der dicken Avon?“

Denver warf einen kurzen Blick darauf, bevor er den Gebäckteller auf den Getränkekasten aus

Plastik stellte, der als Tischersatz diente und auch als Fussstütze, Verstauraum, Blumenständer und

als zusätzliche Sitzgelegenheit.

„Hier siehst du einen Postangestellten und einen Schwimmbeckenreiniger, und hier June und

ihren Choice Market. Er gab letzteres Denver, der Platz nahm auf einer klapprigen, knarrenden Rattangartenbank,

„Dieses gefällt mir. Ich habe einen Nachrichtenreporter im Fernsehen fotografiert. Die

Atmosphäre ist unheimlich, nicht wahr?

„Sieht gut aus!“ Er nahm den Stapel und schaute sich die Fotos genauer an.

„Ich wollte eine Serie mit Menschen in blöden Jobs machen. Hier sind einige mit Angestellten im

öffentlichen Dienst. Hier ist noch eins aus dem Fernsehen: aus dem Psychohaustierkanal. Sieh nur

mal diese Frau und den Hund! Würde das als Vergrösserung nicht toll aussehen?“


„Und das ist das bisher beste. Weisst du, wer da abgebildet ist?“

„Die verrückte Artistin, der Ständig seltsame Typen hinterher laufen.“

„Ja, die Art-Hure.“

„Sie arbeitet in dem Sonnenbrillenladen in der Mall?“

„Ja. Sieht es nicht bescheuert aus, wie sie da in der Kabine sitzt?“

„Hast du den Kaffee gebracht?“

„Oh, hab’ ich vergessen.“ Micky ging die Becher holen.

„Ich war beim SMAC wegen des Förderungsantrags für das Bibliotheksprojekt. Glaube zwar nicht

eine Chance zu haben.“

„Ich weiss wirklich nicht, warum sie überhaupt Bewerbungsformulare haben.“ Er reichte Denver

seinen Becher Kaffee hinüber. „Wahrscheinlich fülle ich ihn nicht mal aus.

„Und schliesslich wird wie meistens wieder einer von ausserhalb ausgewählt.“ Er nahm einen

Schluck Kaffee und stellte die Tasse auf das Verandageländer. „Ich glaubte, du hättest den NoToDo-

Raum gesehen. Er war mal eine Sporthalle unter dem Mason-Gebäude.“

„Ja, beim Bunny-Jahresball war ich dort; aber er war ja völlig dekoriert.“

„Wir müssen irgendwas mit Tomaten machen.“ Denver schaute Micky an.

„Ja, aber was? Ein Haufen verfaulender Tomaten? Aber das gab’s schon.“

„Sicher hat’s alles schon gegeben; aber wir werden’s dann neu interpretieren.“

Ja, richtig. Stell dir vor, was ich gerade gemacht habe? Ich habe im Burger Queen geraucht.“

„Wie?“

„Ich habe was Unglaubliches angestellt, nämlich ein Taboo gebrochen: eine kleine neo-erroristische

Aktion.“

„Ich habe etwas bestellt und liess dabei den Eindruck entstehen, nur gebrochen Englisch zu sprechen.

Ausserdem trug ich noch eine russische Zeitschrift unterm Arm. Nach dem Essen habe ich eine

Zigarette angezündet.“

„Junge, du hättest mal sehen sollen, mit welchem Affenzahn eine Biene angerauscht kam. In

Sekundenschnelle war diese Drohne zur Stelle. Ich sagte, dass ich sie nicht verstünde und bedeutete

ihr einen Aschenbecher zu benötigen. Das hat sie förmlich umgehauen. Sie sah mich an, als ob ich

etwa gefragt hätte, ob ich ihren Erstgeborenen schlachten sollte. Dann schlug ich vor die Zigarette auf

einem Plastiktablett auszudrücken. Sie reagierte panisch. Daraufhin zeigte ich auf den Fussboden.

Auch das gefiel ihr nicht. Plötzlich macht sie kehrt und verschwindet in der Küche. Währenddessen

sitze ich noch paffend da und die anderen Gäste werden schon nervös. Man hatte denken können, sie

hätten mich töten wollen oder selbst rauchen. Aber dafür mangelte es ihnen wohl an Mut. Sie kommt

also zurück und gab mir einen Keramikteller. Anmutig drücke ich die Zigarette aus. Sie trägt ihn mit

Abscheu weg, als ob es Hundescheisse wäre. Danach hatte ich den Eindruck, als ob die Kunden hätten

am liebsten applaudieren wollen.“

„Superkrass!“ Er reichte Micky den Joint. Der ist sicher besser als alles, was du geraucht hast. Dieses

Thema sollten wir weiter verfolgen.“

„Vielleicht könnten wir in einer Galerie eine Installation präsentieren, bei der wir ein Café darstellen,

in dem man rauchen und Whiskey trinken kann. Die Leute sollten das wirkliche Leben kennen lernen

und dazu gehören Drogen.“ Am Joint ziehend legte Micky seine Beine auf das Geländer.

„He, du läufst ja nicht mehr barfuss?“

„Genau, endlich siehst du’s auch. Das war ja eine interessante Konfrontation mit der Gesellschaft,

so etwa, wie schlechte Zähne zu haben. Man sieht in dir einen Affen. Wie geht’s denn deinen

Zähnen?“

„Einer wird wohl bald ausfallen“, antwortete er, wobei er ihn mit der Zunge prüfte.

„Das hat so was total Asoziales, barfuss zu gehen oder hässliche Zähne zu haben. Aber warum

eigentlich müssen die Menschen Schuhe tragen oder superweisse Zähne haben? Beträgt denn nicht


die Lebensdauer von Zähnen ohnehin nur vierzig Jahre?“ Micky nahm einen tiefen Zug durch die

Nase. „In anderen Ländern tragen die Menschen auch keine Schuhe. Ohne sie waren meine Füsse

wohl sauberer, als wenn diese eingepfercht wären und folglich stinken würden.“ Er wackelte mit

seinen gebrauchten Bürolederschuhen hin und her und reichte Denver den Stummel.“ Ich glaube,

er ist Cowboy. Möchtest du ihn zu Ende rauchen?“

„Nein, los, schenke ihn der Göttin!“ Daraufhin schnippte Micky die Glut über das Geländer. „Hier

draussen wird’s aber langsam kalt, oder? Schon lange hatte ich gehofft, irgendwie Schuhe zu ergattern,

und – Siehe da! – ich hatte schliesslich Erfolg.“

„Waren dabei auch Zahnprothesen?“

„Vielleicht in Kartons im Galaxy.“ Er lehnte sich zurück.

„Stell dir vor, wen ich gestern im City House getroffen habe!“, sagte Denver und wechselte damit

das Thema, „Und zwar die Art-Göttin. Sie kam gerade von der Eröffnung der Polyesterhemden-Schau

in Nevada City. Schon davon gehört?“

„Ja, in der ‚Sutters Weekly.“

„Wir haben schon mal darüber gesprochen. Polyester ist ein eigenartiger Stoff. Aus kleinen Plastikkugeln

werden Kunstfasern hergestellt.“

„Wer ist denn die Art-Göttin?“

„Rate mal!“

„Belinda?“

„Nein, sie ist doch die Art-Diva.“

„Na, o. k.“ Er überlegte nur kurz. „Vella kann’s ja nicht sein, denn sie ist ja das Art-Es.“

„Kann auch ich ein Art-Es sein, so dass wir die Art-Essen sind?“

„Nein, denn du bist ja schon der Art-Märtyrer, tut mir leid“. antwortete er gähnend.

„Nun, wer dann?“, ebenfalls gähnend, „Etwa Wendy?“

„Richtig, bingo!“

„Der Art Bingo. Wer könnte das sein? Hast du auf den Lotteriegott gewettet?“

„In dieser Woche einmal, als ich reichlich Kleingeld hatte, aber nichts gewonnen.“

„Hab’ auch gespielt und gewonnen“, verkündete Denver und deutete auf sich. „Ja, ich habe gebetet

und gebetet, und das Schicksal als kleiner Schutzengel verkleidet, sprang auf meine Lotteriekarte

und ich hatte vier Richtige, so dass ich nicht mehr so arm bin und dich einladen kann.“

„Na, lieb von dir, dass du’s versucht hast und auch weiterhin an den wunderbaren Lotteriegott

glaubst, der auf geheimnisvolle Weise arbeitet und manchmal seine Reichtümer auf die ahnungslosesten

Rubbelkarten fallen lässt.“

„Ich pinkelte fast am Schnapsladen Ich fühlte den Drang zu spielen, trat ein, kaufte ein Gemüsest.bchen,

spielte einmal und hatte gewonnen. So soll es sein!“

„Wendy ist also die Art-Göttin. Sie ist ausserdem auch eine gute. Wie lange schon stellt sie diese

Selbstbildnisse her? Sie macht’s automatisch. Neulich sah ich sie im ‚Sunbeam’s‘. Gekleidet war sie

in einen orangefarbenen und rosaroten Sari, das typische Gewand der Hindufrauen, und um einen

Arm hatte sie einen grossen Messingarmreif, der eigentlich mit den Knöcheln von Frauen untrennbar

verbunden wird, damit sie nicht weglaufen. Dampfender Mist! Keine Ahnung, weshalb sie so

etwas trug.“

„Weisst du, warum? Sie fand es wohl zu umständlich sich anzumalen und so beschloss sie sich

fein zu machen und so auszugehen. Das einzige Problem“, sagte er, Micky anblickend, „ist, dass es in

Sacramento dafür nichts anderes gibt als die Kaffeehäuser. War sie in Begleitung?“

„Ja, mit Astro Bob.“

„Nicht überraschend. Sie versteht sich recht gut mit Bennys Kumpel Robert. Immer schon hatte sie

eine Schwäche für europäische Spiritualität und das New Age. Die beiden passen wirklich sehr gut

zusammen. Ich möchte wetten, sie kooperieren auf irgendeine kosmische Art, um die Kunstwelt


auszunutzen.“ Auch Denver stellte seine Füsse auf das Geländer und lehnte sich auf der bei jeder

Bewegung knarrende Rattanbank zurück.

„Astro Bob nimmt bei Künstlern zunächst eine astrologische Prüfung vor, bevor sie Bennys Stall

betreten dürfen. Deswegen werden Leute wie du und ich nie in ihre Galerie gelassen. Wir wurden

nicht an guten Tagen geboren. Unsere Planeten standen ungünstig. Chaos ist unser Aszendent, Stopp

ist unser Zeichen!“ Micky unterstrich dies durch eine entsprechende Geste.

„Ich weiss nicht. Er versprach mir innerhalb eines Jahres eine Schau zu ermöglichen.“

„Quatsch! Das hat er nur gesagt, um dich von anderen Galerien abzuhalten, oder damit du einfach

nicht mehr suchst. Nein, Denver, das ist ein übler Trick. Er will dich nur hinhalten, bis er eine Möglichkeit

sieht mit dir Geld zu verdienen. Wann hast du zuletzt mit ihm gesprochen?“

„Mehrmals nach der Schau im ‚End Art‘. Ich habe mich auf seinen Eröffnungsveranstaltungen

sehen lassen. Er lächelte immer. Eigentlich habe ich ein gutes Gefühl.“

„Gute Gefühle bezahlen die Miete nicht. Er ist so ölig. Deshalb gehe ich nicht in seinen Stall. Ich

habe meine Arbeiten selbständig verkauft. Das hat ihn so erzürnt, dass er sich weigerte weiter etwas

zu zeigen. An deiner Stelle würde ich nicht warten. Ausserdem wurden wir, wie gesagt, unter ungünstiger

Sternenkonstellation geboren. Wir sind wie Supernovas, also jung, heiss und entwickeln

uns, und werden bald explodieren.“

„Ganz schön deprimierend! Ich bin ohnehin schon in schlechter Stimmung und du belastest mich

noch zusätzlich. Danke!“

„Dadurch dass ich dir, sage, wie’s ist.“ Micky schwieg und beide nippten noch Kaffee. Dann legte

er eine Hand auf Denvers Schulter und sagte: „Ich spüre deine Traurigkeit und will nicht, dass du

dich noch schlechter fühlst. Es tut mir wirklich leid.“

Nach kurzer Pause antwortete Micky: „Ist schon o. k.“

„Vielleicht sollten wir für einige Zeit die Stadt verlassen, an die Küste fahren und unsere Seelen

ausschwingen lassen.“

Ich weiss, Micky, ich bin in keiner guten Gemütsverfassung. Das hängt auch mit meinem

Charakter zusammen. Ich bin nicht der Typ, der herum sitzt und darauf wartet, dass etwas passiert.

Ich bin ständig aktiv. Deshalb hat mich Peach verlassen. Ich bin für Veränderung; er erduldet sie nur.“

„Du bist für Veränderung? Seit wann?“

Denver ging nicht darauf ein und wechselte das Thema. „Weisst du, was ich vor einigen Tagen im

Internet entdeckt habe?“

„Nein, was denn?“

„Ich beschäftigte mich mit Landkommunen und fand folgendes unter ‚gogosunshine‘: Es war einfach

ein Bild einer Glühbirne, die an einer schwarzen Schnur hing. Da waren nur diese Helligkeit

und das Summen eines starken Transformators aus dem Hintergrund.“

„Hört sich merkwürdig an. Hast du nochmals geprüft?

„Ja, mehrmals hintereinander. Es geschah immer das gleiche. Manchmal bewegte sich die Birne

sehr wenig. Das war wirklich aufregend. Und das elektrische Summen. Nachts hatte ich’s eingestellt,

während ich arbeitete, und du wirst es nicht glauben. Man hört ihre Worte ganz leise. Ich war erschrocken,

als ich sie verstand.“

„Was sagte sie denn?“

Es entstand eine Pause, weil Denver schwer atmete, und in dem gleichen Rhythmus wie die

Stimme auf der Website sang er leise die Worte, bis Micky sie verstand:

„Wohin ihr auch geht, passt auf euch auf!“, rief er. „Das ist grossartig!“




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