37. stecke mich in brand

 37. stecke mich in brand


Martin hatte beschlossen, den Tag zu Hause zu verbringen. Er wollte die Wohnung aufräumen und

entscheiden, was alles auf die Müllkippe zu befördern wäre. Sie verstand einfach nicht, weshalb Martin

sich plötzlich für das Haus und seinen Inhalt interessierte. Sie fühlte sich von seiner überraschenden

Anwesenheit bedrängt und schluckte ein Valium zur Beruhigung.

Während Martin beschäftigt war, prüfte sie ihre E-Mails und las die Einladung von Cal-Tex. Er hatte

sie gefragt, ob sie ihn zu der Abschlussgala der Versammlung in Fresno begleiten würde. Falls er zustimmte,

wäre das der erste öffentliche Auftritt mit dem Mann, mit dem sie eine Liebesaffäre hatte

und dessentwegen sie Martin zu verlassen beabsichtigte. Bei einer solch wichtigen Entscheidung

brauchte sie Zeit um über ihren nächsten Schritt sorgfältig nachzudenken.

Sie trug den Bügeltisch aus Aluminium in das Wohnzimmer und öffnete ihn vor dem Fernseher.

Sie ging wieder in die Kammer und kam mit einem Korb voller Weihnachtstischtücher zum Bügeln

zurück. Sie schaltete den Sunbeam Toaster ein, wirbelte herum, wechselte Sender und drehte den

Monitor lauter. Sie erkannte Prediger Dans Stimme, bevor sie sein Gesicht sah.

„… seit dem Tag habe ich Gottes Werte gepredigt. Es ist immer ein Kampf gewesen. Brüder und

Schwestern! Fünfunddreissig Jahre habe ich gebraucht um so weit zu kommen und ich bin bereit

weitere 33, 66 oder 99 Jahre zu arbeiten, so lange, wie der Herr es will; denn, Brüder und Schwestern,

es wird nicht besser. Immer wieder frage ich mich, was aus der Welt noch werden soll.“

„Wir sind ein Land geworden, das gegen den Herrn rebelliert, strotzend vor Sünde und doch ihm

gegenüber gleichgültig. Schlechte Zeiten mit schlechten Menschen. Rebellen, die sich Amerikaner

nennen, begehen weiterhin Böses und stecke stur ihre Finger in die Ohren um Gottes Wort nicht zu

hören. Diese Menschen sind gelangweilt und greifen erbarmungslos die religiöse Moral an, die das

Fundament dieses einst gesegneten Landes darstellt.“

Um auf der Höhe der Zeit zu sein verfolgte Dee die aktuellen Ereignisse. Gerade wurde Prediger

Dans ‚Inspirational Hour‘ auf Kanal 58 übertragen. Es gab Zeiten, in denen Dee nicht genug davon

kriegen konnte. Er brachte ihr die Botschaft und lieferte ihr die nötigen Antworten auf ihre Fragen.

„Möge Gott im Himmel“, sagte Dee sich bekreuzigend, „die Seele dieses Mannes segnen!“ und

holte eine Serviette aus dem Korb.

„In den Jahren, als ich über Versündigung gegen Gott gepredigt habe, hat mich am Schlimmsten

getroffen, dass das grossartigste Land der Welt einer gottlosen Frau erlaubt hat, den Schulen das Gebet

zu verbieten und damit schockierenden Atheisten gestattete dieses einst göttliche Land ein heidnisches,

zur Hölle verdammtes Land werden zu lassen.“

„Freie Liebe, freie Drogen und freier Rock’n Roll heutzutage. Man kann dem nicht entkommen

und kein Wort der Musik verstehen. Sie springen umher wie tanzende Affen und kreischen frenetisch.

Die Ätherwellen sind voll von dieser finsteren Musik.“

„Sie langweilen sich unendlich und haben nichts zu tun. Ihre Hirne und Adern sind angefüllt mit

Riesenmengen von Drogen. Auf den Strassen machthungrige Egomanen, die alles wollen und schier

unersättlich sind in ihrer Gier. Sie fluchen, lügen, töten und stehlen. Alle streben sie nach Individualität,

stürzen über die Schwachen und Verletzten, nur um an die Spitze zu gelangen.“

„Wegen dieses Drecks kann man nicht auf die Strasse gehen oder sicher in der Wohnung leben

ohne Furcht und Lebensgefahr. Sie torkeln in Trunkenheit und vergeuden ihr Leben auf Partys. Sie

sind taub, nackt in all ihrer Nacktheit und Pornographie, beuten ihren Körper aus und verkaufen

ihre Seele dem Teufel für eine Dose Coca-Cola. Es ist nichts Besonderes für sie ins Bett zu springen

und Unzucht zu treiben mit allen, denen ’s gefällt, ob verheiratet oder nicht. Krankheiten

und tödliche Folgen können ihrer masslosen Gier nicht Einhalt gebieten. Homosexuelle und


Lesbierinnen brennen vor ungehemmter, leidenschaftlicher Lüsternheit Dee schrie den göttlichen

Worten des Predigers Ihre Zustimmung zu, obwohl sie mit der Sündhaftigkeit ebenfalls gemeint

sein konnte; denn sie beging Ehebruch, genoss Zigaretten und hatte einen Homosexuellen geboren.

Sie fühlte sich nicht angesprochen, da sie zur Mittelklasse gehörte, den wahren Fackelträgern der

anständigen Gesellschaft.

Sie erkannte die moralische Verkommenheit, die überall um sie herum zur Schau gestellt wurde.

Sie dachte an ihren Frisör im ‚Whipcurl Beauty Salon‘, den sie verdächtigte. Er war dünn, hatte schlaffe

Handgelenke, lispelte und rauchte ständig ‚Lucky Puffs 1‘. Wenn Dee auch seine zärtlichen Worte

amüsant fand, die meist mit ‚Darling‘ begannen, gingen sie ihr doch nach einiger Zeit auf die Nerven.

Sie wagte nicht zu fragen, er nicht zu reden. Sie wunderte sich immer, aber nur ihr Frisör konnte es

sagen.

„Lauf einfach weg!“ Die Kamera schwenkte von Prediger Dans schweisstriefendem Gesicht zu der

Gemeinde hinüber. Eine kräftige Stimme kündigte an, dass die ‚Inspirational Hour‘ gleich wieder auf

Sendung wäre nach einigen Worten des Sponsors. Sie drückte den Dampfknopf um eine besonders

deutliche Bügelfalte zu erzeugen und vernahm die bekannte Erkennungsmelodie von Realife.

Sie schaute durch das Wohnzimmerfenster und beobachtete Martin. Ihr war bewusst geworden,

wie stark ihre Ehe zerrüttet war. Ganz entspannt überlegte sie, ob es ratsam wäre ihre Entscheidung

Martin gegenüber zu überdenken. Obwohl Cal-Tex ihr noch keinen Heiratsantrag gemacht hatte, hatte

er aber seine Farm schon angeboten. Sie könnte sich jederzeit trennen. Ihren Stapel Karten glaubte sie

besser als jemals in ihrem Leben unter Kontrolle zu haben

„Seien Sie wieder willkommen, liebe Zuschauer zu Hause an den Bildschirmen und ebenfalls ein

Willkommen Ihnen, die Sie gerade eingeschaltet haben, ein herzliches Willkommen vom Herrn!“,

sprach der Fernsehansager mit salbungsvoller Stimme. „ Wir alle wurden so wunderbar berührt von

der machtvollen Predigt, die Prediger Dan in seinem geistlichen Amt uns geschenkt hat. Wir haben

uns hier versammelt um mit dem Pfarrer sein 33. Jahr als Verkünder von Gottes Wort zu feiern.“

„Früher im Programm hat uns der Prediger darüber aufgeklärt, wie er seine Berufung empfing, das

Gotteszeichen, das seine religiöse Entwicklung auslöste. Dies zur Information derer unter euch, die

die Botschaft nicht hören konnten, die er von Gott selbst erhalten hatte.“

Dee spitzte die Ohren und nahm eine weitere Serviette aus dem Korb. Prediger erlebte seine

Berufung auf dem Weg für die ‚Church of the Secret Learning‘ in der Stadt Colingus tätig zu werden.

Er fuhr sein Auto zu Bruch und verbrachte die folgenden vierzig Tage damit durch das Valley zu

wandern. Die Kraft Christi rettete ihn und führte ihn her um mit uns zusammen zu sein.“

„Oh, schade, ich hätte seine Geschichte zu gern gehört.“ Dee stampfte mit einem Fuss auf und lief

um das Bügelbrett herum um ihren Frust abzulassen.

„Als er den Berggipfel erreicht hatte, verfasste er sofort das Testament für die Menschen, ‚Beyond

Human Hopes‘, jetzt in der 13. Auflage. Wenn Sie ein Exemplar haben möchten oder mehr über die

Hoffnungen und Wege unseres Pastors zu erfahren wünschen, wählen Sie unsere gebührenfreie

24-stündige Hotline und verbinden Sie weiter. Die Nimmer lautet: I-800-PREACHER, nochmals:

I-800-PREACHER, oder senden Sie uns ein E-Mail an: preacherdan@newchristian.com. Sie können

auch jederzeit die First Christian Website nutzen: www.opprtunists.com.

„Meine Damen und Herren! Prediger Dan betritt die Kanzel.“ Die Stimme verstummte, als der

Chor den Refrain von ‚Haben wir uns selbst verdammt?‘ verklingen liess. Dee hörte den Pastor sich

schnäuzen und ergriff das Bügeleisen, als er zu sprechen begann.

„Brüder und Schwestern! War das nicht himmlisch? Danke wir ihnen mit den Instrumenten,

die der Herr uns geschenkt hat um die zu preisen, die uns Freunde bringen. Der Prediger erhob seine

Hände und begann zu klatschen und seine Gemeinde fiel ein. Augenblicke später erschallte der Chor

mot dem Refrain von ‚Opportunity Comes Marchin’ In‘ und der donnernde Applaus wurde rhythmisch.


„Ich möchte diesem Chor danken“, rief Prediger Dan laut in die von der Musik verzückte Menge,

„aus vollem Herzen und der Tiefe meiner Seele für den engelhaften Gesang, der uns der Erlösung

näher bringt.“

Dee gab sich der ekstatischen Musik hin.

„Brüder und Schwestern!“, donnerte er und wischte dabei Tränen der Freude ab, die ihn überw.ltigt

hatte. „Ich möchte euch die Gruppe der Männer vorstellen, die heute bei uns sind.“ Er schnappte

nach Luft. „Ihr seid Männer, die sich dafür einsetzen, dass dieses Land heilig bleibt. Sie sind den

weiten Weg von der McCarthy Air Base in Orange County hierher gekommen um mit uns über die

ernste Lage unserer heutigen Welt zu sprechen.“

„Das Problem ist der religiöse Terrorismus in den Ländern Amerikas engster Verbündeter jenseits

des Ozeans, auf Amerikas Türschwelle und in Amerika selbst. Brüder und Schwestern! Ihr seid

sicher überrascht zu erfahren, dass es in unseren christlichsten Orten Schläfer gibt, die sich assimiliert

haben durch Nachahmung unseres orthodoxen Verhaltens. Diese Leute sid gut organisiert, und

wir müssen lernen sie zu entdecken. So heissen wir also mit starkem Applaus unsere hochrangigen

Gäste von der McCarthy Brotherhood of Christian Militia herzlich willkommen.“

Die Zuhörer applaudierten heftig und Dee unterbrach das Bügeln und begann ebenfalls Beifall

zu spenden. Eine Schar Grauhaariger in blauer Militäruniform begrüsste Prediger Dan mit festem

Händedruck und schritt zur Kanzel. Der Älteste hielt das Mikrophon vor den Mund und begann zu

sprechen.

„Mit grosser Freude bin ich unter solch prominenten Gästen und den Mitgliedern der ‚Church of

Opportunity, First Christian‘ und ich möchte Euch, Prediger Dan, danken für die Einladung zum dreiunddreissigsten

Jahrestag Eurer Ordination zu sprechen. Gott segne Euch, Bruder!“

Daraufhin entstand eine neue Applauswelle. Der Prediger erhob und verbeugte sich und gebot

der Gemeinde mit ausgebreiteten Armen und nach unten gerichteten Händen Ruhe und nahm

wieder Platz.

Der General räusperte sich und begann um Geld zu bitten: „Meine amerikanischen Mitbürger!

Wir sind hier zusammen gekommen um uns für das Überleben der unglücklichen Seelen einzusetzen,

die nicht über die Freiheiten verfügen, derer wir uns hier erfreuen. Gott segne unser Land!“ Er

verbeugte sich und legte seine rechte Hand über sein Herz. „Wie der Prediger gesagt hat, haben unsere

Vorfahren dieses Land nach göttlichen Prinzipien gegründet und es durch die Bill of Rights geschützt.

Dazu gehört das Recht auf Gottesdienst, das Recht auf religiöse Freiheit. Doch gibt es jene

Fanatiker, jene heidnischen Antilogs, die Widersprecher, die ein Ende dieser Freiheit anstreben.“

Dee war völlig verblüfft über ein nicht vertrautes Wort. Sie wiederholte es stumm um es zu verstehen;

doch bevor sie es vermochte, war der General schon wieder bei einem anderen Thema.

„Stellt euch vor, dass eure Kinder Steuern zahlen müssten für euren heutigen Lebensstil. Stellt

euch vor, sie hätten die Schulden zu bezahlen, die ihr angehäuft habt durch den hohen Lebensstandard,

durch Krankheitskosten und Sozialunterstützung. Überlegt mal, wie es euch ginge, wenn ihr

die Schulden eurer Eltern zu bezahlen hättet. Ich habe ein noch erschreckenderes Beispiel.

„Wir haben bewegende Zeiten hinter uns. Der Krieg ist vorbei, und wir haben ihn gewonnen.

Jedoch tobt perverser Idealismus in den Herzen der Bösen, die freies Unternehmertum zerstören

wollen. Wir müssen die grundlegenden Rechte von Handel und Wandel garantieren, so dass alle Teilnehmenden

davon profitieren. Doch selbst auf Amerikas Türschwelle herrschen noch Unterdrückung

und Beschränkung des freien Unternehmertums. Ihre hässlichen Köpfe zeigen sich überall, sogar

innerhalb der Grenzen unseres ruhmreichen Landes. Wir müssen bereit dazu sein diese Formen antisozialen

Verhaltens zu bekämpfen und mit Stumpf und Stiel auszurotten.“

„So etwas wie einen sozialistischen Staat darf es niemals geben. Wenn sie von freier Bildung, freien

Arzneimitteln, freier Nahrung, freier Wohnung und freier Liebe reden, wissen wir als Gott liebende

Menschen, dass es nichts frei gibt und immer jemand die Zeche zu bezahlen hat.“


Die Kamera schwenkte auf ein Ehepaar mittleren Alters und eine hübsche toupierte Frau mit

prächtigen Lippen, die im Publikum sassen und zustimmend nickten.

„Ihr wisst, Prediger Dan“, hierbei erfasste die Kamera den ebenfalls nickenden Pfarrer, „unsere

Bomben treffen unsere Ziele und wir können uns wirklich darauf konzentrieren die Zahl der zivilen

Opfer zu verringern.“

„Gut zu wissen“, schien Prediger Dan zu flüstern.

„Wir, die Gott fürchtenden und Gott liebenden Individuen der Gesellschaft“, verkündete der General,

wobei Schweissperlen sein Toupet über den Haaransatz hinaus rutschen liessen, „kennen der

anständigen Arbeit eines Tages und die Belohnung, die sie spirituell und finanziell bringt. Und wir

wollen eure Rechte und unsere Rechte verteidigen. Wie können sie überhaupt soziale Gerechtigkeit

verlangen, wenn sie Menschenrechte missachten und ihr eigenes Volk peinigen?“

„Aber haben wir sie nicht gelehrt solches zu tun?“, fragte Dee mit sonderbarer Klarheit und nahm

das Bügeleisen, drückte auf den entsprechenden Knopf, wodurch ein riesiger Dampfstoss erzeugt

wurde, und fuhr fort ein Tischtuch zu plätten.

„Ich empfinde Abscheu dagegen, dass wir denen Geld geben, die nicht freie Liebe an jedem Volksfeststand

praktizieren sollten. Diese Leute sind Monster und wenn ich an ihren Tod denke, weiss ich,

dass der Gottes Wille ist.“

„Das ist gewisslich wahr!“, liess jemand aus dem Publikum hören. Die Kamera schwenkte zu

einem stehenden Mann hinüber, der seine rechte Hand in die Luft streckte. Andere erhoben sich und

schrieen zustimmend. Die Kamera erfasste die gesamte Gemeinde: Gruppen standen mit erhobenen

Armen, bereit, jedes Wort des Appells des christlichen Generals förmlich einzusaugen.

Die Stimme des Generals erklang weiter und sein sprechender Kopf erschien wider auf Dees Fernsehschirm.

„Niemand bei Sinnen würde auch nur zwei 25-Cent-Stücke Führern geben, geschweige

denn solchen vertrauen, die das Leben in Kommunen befürworten.“

Die Kamera glitt hinüber zu den anderen Uniformierten mit gespitzten Unterlippen und kräftigen

Kinnladen, die gleichzeitig nickten.

„Deshalb sind wir hierher gekommen.“

„Sie verwenden das Geld also für Waffen?“, unterbrach der Prediger fragend.

„Ja, richtig!. Wir setzen uns für den Frieden ein. Aber bevor man diplomatisch tätig werden kann,

muss man eine Verteidigung haben, die Oberhand, die Verhandlungsmacht um den eigenen klar und

wirksam zu vertreten. Das weiss schon jede Hausfrau.“

Dee nickte zustimmend wie ein Schaf, denn sie war von den Worten fasziniert.

„Deshalb können wir für eine Viertelmillion eine Lockheed-Rakete kaufen, für eine Million einen

Boing-Hubschrauber. Wir bitten darum eurer Kinder wegen, damit sie nicht für unsere Fehler aufzukommen

haben.“

Dee stellte das Eisen beiseite und stürzte hinüber zu dem beigefarbenen Formica-Frühstückstisch.

Für Freiheit spende ich, dachte sie, als sie sich sorgfältig Einzelheiten zu dem auf dem Bildschirm

Gezeigten notierte. Sie ging zu ihrer braunen Todd-Handtasche, die an der Rückenlehne eines

Küchenschemels hing und holte ihr Scheckheft heraus. Sie stellte einen Scheck über fünfzig Dollar

aus und trug das Stichwort ‚Bombe‘ in die Mitteilungszeile ein. Als es klingelte, legte sie den Füllhalter

nieder und ging zur Eingangstür.

„“Tag“, sagte ein Lieferant und blickte auf den Adressenaufkleber. „Mrs. Griess, ein Paket. Bitte

hier unterschreiben!“

Sie nahm das elektronische Notizbuch, während sie auf das Namensschild seines braunen

Arbeitsanzugs blickte. „Mr. Sellers, Sie sind mir irgendwie bekannt. Waren Sie nicht mal Vertreter?

Von Ihnen habe ich doch einen Teppich gekauft. Ihre Geschäftskarte muss ich noch haben.“

„Ja, Dee, der bin ich!“ Er tippte an seinen Mützenschirm. „Hätte nicht gedacht, dass du dich noch

an mich erinnerst.“


„Natürlich. Meine Güte, das ist schon sehr lange her. Wie ist’s dir inzwischen ergangen?“

„Eigentlich gut. Viele Jahre arbeite ich schon bei UPS. Ich musste mich nach einer anderen Arbeit

umsehen, als die Teppichfirma von einer Frau verklagt wurde, die an Hautkrebs erkrankt war. Sie

meinte, der Teppich hätte ihn verursacht.“

„Nun“, äussertesie etwas verblüfft durch seine letzten Worte „ist niemand in unserer Familie krank

geworden ausser der Katze.“ Sie trat einen Schritt zurück um ihm einen Blick zu gestatten auf den

Profilveloursteppich, während sie unterschrieb.

Er steckte seinen Kopf in das Zimmer. „Der sieht noch richtig gut aus.“ Er nahm das Notizbuch

und übergab ihr das Paket.

„Der hat zwei Kinder und ständiges Darüberlaufen ausgehalten und ist immer noch in guter

Form.“ Sie schüttelte das Paket. „Was ist darin?“

„Es sieht nach einem Flöbee aus. In letzter Zeit habe ich ziemlich viele davon ausgeliefert. Ich

besitze selbst eins.“ Er setzte seine Mütze ab und rieb sich am Kopf

„Was ist denn ein Flobee?“

„Es dient zum Haareschneiden. Hast du’s denn nicht bestellt?

„Kann mich nicht erinnern.“ Sie schüttelte nochmals. „Vielleicht.“

„Nun, es freut mich, dass du noch immer mit dem Teppich zufrieden bist“, sagte er, schritt zurück

und rückte seine Mütze mit dem Firmenlogo zurecht. „Einen schönen Tag noch,Dee. ir werden uns

sicher wieder sehen.“

Dee winkte, verschloss die Eingangstür, durchquerte das Haus bis zum Hinterhof und untersuchte

dabei das Paket. „He, Martin!“ Sie setzte sich auf einen Designer-Gartenstuhl aus Plastik. „Sieh mal,

was der Postbote gebracht hat!“ Sie fing an das Packpapier zu entfernen. „Hattest du was bestellt?“

„Hast du mich nach was gefragt?“, ertönte Martins Stimme hinter einem Kamelienbusch hervor.

„ein Postpaket.“Dee schüttelte die verpackungsfreie Schachtel. „Was ist das?“

„Öffne es und sieh doch selbst nach!“ Dabei blickte er hinter den Büschen hervor.

Sie befreite den Gegenstand von dem Schutzschaumstoff und hielt einen elektrischen Apparat

hoch. „Hattest du ihn bestellt?“

„Weiss ich nicht.“

„Es ist ein Flobee“, hat der UPS-Mann gesagt. Sie las das Etikett. „Du hast mir ein Flobee gekauft.

Was ist das bloss?“

„Hab’ ich dir nicht gekauft“, entgegnete er etwas verärgert den Fragen seiner Frau. „Vielleicht hatte

es Bianca für dich bestellt.“

Martin schlängelte sich zurück zu den Büschen und Dee verharrte einen Augenblick in Gedanken.

Es hatte noch einen anderen Grund gegeben, weshalb sie nach draussen gegangen war; aber sie konnte

sich nicht genau erinnern. Sie nahm einen letzten Zug aus der Zigarette, drückte sie aus, ergriff die

Flobee-Schachtel und lief zur Garage.

„Martin, was machen wir, da du ja jetzt den Betriebswagen benutzt, mit dem Ford Lima?“, fragte

sie, als sie zurückkam. „Warum verkaufst du den nicht deinem Freund, der den Parkplatz in Folsum

besitzt, wie du’s schon mit dem Galaxy gemacht hast. Oder wir könnten ihn Denver verkaufen.“ Sie

ahnte, dass ihr letzter Vorschlag eine heftige Reaktion hervorrufen würde.

„Den Lima geben wir Denver nicht. Du weißt doch, dass er kein Auto haben will.“

„Ich denke, wenn er’s erst mal hätte, würde er’s auch benutzen.“

„Du weisstdochanz genau, er würde es als Müll ansehen oder ein Kunstwerk daraus herstellen.“

„Ich nehme an, wenn er’s besässe, würde er uns auch gelegentlich besuchen.“ Schliesslich fiel ihr

ein, was sie noch hatte fragen wollen: „Kannst du was mit dem Wort ‚Antilogs‘ anfangen?“

„Was?“, fragte er. „Was soll mit dem Baum an der Gartengrenze geschehen? Ich möchte ihn fällen lassen.“

„Ruf bei der Stadtverwaltung an und sag, er sei von Käfern befallen, und man wird sehen, ob sie

ihn entfernen. Teile ihnen mit, dass die Käfer auch in unser Haus kommen! Martin, ich hab dich was


gefragt! Weisst du, was Antilogs sind? Dee drückte die Zigarette in dem aus einer echten Muschel

hergestellten Aschenbecher aus.

„Du weißt doch, die Stadt würde dafür nicht aufkommen. Die Entfernung eines Baums kostet ein

Vermögen.“

„Martin, ich weiss nicht, ob ich noch lange in diesem Haus wohnen werde.“

„Was?“

„Ich sagte, indiesem Haus …“ Sie hob die Stimme leicht an. „Ich denke, es wird Zeit umzuziehen.“

„Komisch, dass du das sagst.“

Dee vernahm den Aufschlag der Gartenstatue, als diese bei den Büschen auf den Rasen plumpste.

„Ich habe gedacht, dass wir vielleicht …“

„Au! Verdammte Scheisse! Verdammt nochmal!“, stöhnte Martin.

„Bist du verletzt?“ Sie schwieg dann um ihn zu hören. „Alles in Ordnung?“

„O. k., o.k. Madonna ist gerade umgefallen. Der Schlauch hatte sich um sie gewickelt.“

„Martin?“, fragte sie und sah nach, ob ihr Mann hIlfe brauchte und sprach unaufhörlich weiter.

„Unser Sohn ist ein heidnischer Antiloge. Deshalb nimmt er wohl nie den Hörer ab, wenn ich anrufe.

Ausserdem raucht er das Haschischzeug, das ihn verwirrt.“

„Darüber möchte ich nicht sprechen. Es ist sein Leben, und er kann zur Hölle fahren, wenn er will.

Verdammt! Mir wurde fast ein Fuss zerschmettert, als ich den Schlauch von Madonna abwickelte.“

„Pass besser auf!

Martin umkreiste Madonna, nach der besten Stellung suchend, von der die Statue wieder aufgerichtet

werden konnte.“ Sag den Gärtnern, dass sie dasgemähte Gras in die Abfalltonne werfen und

nicht mehr hinter den Oleanderbüschen abladen sollen! Es ist sonst ein Schandfleck und stinkt wie

im Stall.“ Er ging noch einmal herum.

„Aber sie verwnden es doch zum Mulchen.“

„Der Garten ist schon überwachsen!“ Er fuchtelte mit den Händen herum. „Wir brauchen keinen

Mulch mehr. Beim nächsten Haus werden wir einen Betonhinterhof haben. Dann sparen wir die Bewässerung.

Mensch, die Madonna ist aber schwer!“Er griff der Statue um den Hals und zog fest daran.

„Wir sind in Kalifornien. Sei vernünftig! Alles wächst“, sagte Dee und bewegte sich ein paar Schritte

aus dem Innenhof weg. „Martin, ich möchte mit dir etwas besprechen.“ Sie hörte ihn keuchen, als er

versuchte Madonna wieder aufzustellen und fast erfolgreich war, aber dann wieder laut seufzte. „Sei

vorsichtig ud überanstrenge dich nicht!“

„Oh, Jessus Maria!“ Er liess die Statue los, so dass sie auf dem Boden aufschlig.“Dee!“, rief er

schwer atmend. Ich habe mich wohl verletzt. Ich hab’ gespürt, wie es in der Leistengegend einen Riss

gab.“

„Ich hab’ dir’s doch gesagt“, meinte sie vorwurfsvoll und sah ihn über die gestürzte Königin

stolpern und sich an den Bauch fassen. Rasch war sie bei ihm und kniete nieder. „Oh, mein Gott, was

hast du nur gemacht?“

„Es ist, oh, mein Bruch. Etwas ist gerissen.“ Er verzog das Gesicht und umklammerte seinen Unterleib.“

Du musst mich wegfahren zu Mercy. Hol den Wagen!“

„Lass mich dich aufrichten!“, sagte Dee und wedelte nervös mit den Armen. „ Ich werde Bud bitten.

Dee hastete um das Haus in schlurfenden Pelzschuhen zum Nachbarn.

Martin hörte ihre Rufe in der Sackgasse widerhallen.

Înzwischen versuchte er sich ganz langsam zur Garage zu ziehen.

„Um Himmels willen, Martin!“, rief eine Stimme ganz ausser Atem. „Schon wieder verletzt?

„Bud, ich liege hier!“

„Kannst du noch laufen?“

„Nein, denn meine Beine sind taub.“

„Ich helfe dir.“ Er griff Martin bei der Schulter und wollte ihn aufrichten.


Martin schrie vor Schmerzen.

„Nein, nicht berühren! Ich versuch’s selber“, sagte er und entwand sich Martins Umklammerung.

„Verdammt, ich weiss, wie weh das tut“, meinte Bud und biss sich auf die Lippen. „Ich habe mal

sechs Wochen unter einem Bruch gelitten mit sehr starken Bauchschmerzen. Vielleicht musst du

operiert werden.“

Dee lachte nervös und Bud beugte sich vor, umfasste Martin wieder von hinten und konnte ihn

diesmal dazu bringen aufzustehen.

„Oh, Mutter schütze mich! Höllenschmerzen!“ Er konnte sich kaum aufrecht halten.

„Los, Martin, ich weiss“, fühlte Bud mit und zog ihn von der Terrasse. „Mensch, du bist aber

schwer! Ich muss mal kurz verschnaufen.“ Er setzte ihn in einen Polstersessel.

„Möchtest du was trinken, Bud?“

„Nein, danke, Dee. Es geht gleich wieder. Nur noch einige Schritte. Öffne eine Hintertür des

Wagens!“

„Ich hab’ keine Schlüssel“, jammerte sie.

„Wo sind die denn?“

„In Martins Tasche.“

Bud holte sie und gab sie Dee. „Schliess das Auto auf!“

„Ich hole noch meine Tasche und erwarte dich dort.“

„Du hast ein paar Kilo mehr, seit ich dich letztes Mal getragen habe, Martin.“

Dieser blickte auf und unterdrückte ein Niesen. Er wurde fast bewusstlos, als Bud ihn in die Garage

trug. Ein stechender Schmerz durchzuckte seinen Unterleib, so dass seine Leinensportschuhe auf

den Betonboden sprangen. Bud legte schliesslich seine Fracht auf den Rücksitz von Martins neuem

Saturn I0-Wagen.

„Steig ein, Dee. Ich werde fahren. Er nahm die Schlüssel, startete und Musik überw.ltigte sie:

Butterflies are free at the zoo.

Butterflies are free at the zoo.

„Wie stellt man denn das Radio ab?”, fragte Bud und fummelte am Schaltbrett herum.

„Es ist auf Martins Stimme programmiert“, rief Dee. „Martin, sprich, stell das Radio leiser!“

Die unterdrückte Erinnerung an Oralsex mit Mike Mueller überkam ihn plötzlich mit Abscheu.

Er musste alle Energie aufbringen, über die er zwischen Hustenanfällen verfügte, um dem Radio

Ruhe zu befehlen.

„Mein Lieber, schalt dich ab! Stopp! Aus!“




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