11. kuchen

11. kuchen


Sie ging aus der Toilette mit der Kaffeetasse und dem aufgesetzten Kopfhörer. Nach der Sextollerei

mit Martin am Morgen freute sie sich darauf es sich kurze Zeit allein am Schreibtisch gemütlich zu

machen mit Kaffee, dem Stück Schokoladekuchen und der neuesten Ausgabe der ‚Sutters Weekly‘.

Es reizte sie, ihr Horoskop zu lesen, bevor die anderen eintrafen und sie sich intensiv ihrer Arbeitsroutine

hingab.

Als sie an der Kaffeemaschine stand, ihr Haar kämmte und Bluse und Rock gerade rückte, war sie

verwundert darüber, was für ein kleiner, Kaugummi kauender Manager in die Eingangshalle herein

gesprungen kam.

„Guten Morgen, Candi.“

„Guten Morgen, Jim, du bist ja schnell hergekommen!“, sagte sie, indem sie das perfekte Timing

bemerkte, das sich gerade ergeben hatte. „Ich dachte, du seist im Verkehr stecken geblieben.“

„So war’s. Ich schätze, du weisst, welcher Tag heute ist.“ Er präsentiere ihr ein grosses Blumengebinde

aus dem Drive-In-Blumengeschäft.

Beim Anblick der Blumen stiess Candi einen Freudenschrei aus, führte ihre Hand zum Mund und

küsste sie. „Oh, phantastisch, Jim!“, rief sie aus und erhob sich. „Du bist schön, einfach schön.“ Sie

stellte den leeren Becher ab und griff nach dem Strauss.

Sie wiegte ihn in den Armen, ging zum Schreibtisch hinüber und stellte ihn so sanft auf die Theke

wie einen Säugling ins Gitterbett. Während sie eine Keramikvase aus dem oberen Fach des Aktenschranks

holte, plapperte sie weiter über seine Schönheit und darüber, dass sie nichts erwartet hatte

oder wenigstens nicht einen solch wunderbaren Strauss. Nachdem sie die Vase mit frischem Quellwasser

aus dem Bürokühler gefüllt hatte, kam sie zur Theke zurück und fügte ein ganzes Säckchen

‚Flower Power‘ hinzu, ein körniges chemisches Produkt, dass dem Zweck diente, die Schönheit und

Lebensdauer jedes floralen Arrangements zu steigern. Sie trennte den Strauss von dem dünnen

Floristikpapier, stellte die Tulpen in die Vase und genoss die Quietschlaute, die daraus entstanden,

dass ihre Stängel beim Aufstellen gegeneinander rieben.

„Oh, Jim!“, rief sie aus und trat einen Schritt zurück um ihr Blumengeschenk zu untersuchen.

„Dies ist der hübscheste und grösste Strauss Tulpen, den meine trüben Augen in den letzten Jahren

erblickt hat.“ Sie legte ihre Hände auf die Hüfte. „So wunderschön gelb; sie sind noch nicht einmal

geöffnet, und wenn sie erst einmal erblühen!“ Sie pfiff. „Oh, Jim, sie werden so prächtig, prächtig

sein.“

„Tag der glücklichen Empfangsdamen“, wiederholte er, als Candi herankam und ihn auf die Stirn

küsste.

„Ich sagte dir ja, dich zum Mittagessen einladen zu wollen. Ich hoffe, dir wird’s gefallen. Im ‚Jo

Sun’s Swedish Steak Palace‘ habe ich reservieren lassen. Candi hatte nichts dagegen. Vor kurzem hatte

sie grosse Lust verspürt auf Fleischgerichte mit der speziellen ‚Jo Sun’s Sweet and Sour Barbecue

Sauce‘. Sie konnte ihr starkes Verlangen inzwischen nur mit mit Teriyaki gewürzten Beefys befriedigen,

die sie im Wein- und Spirituosenladen auf dem Weg von der Arbeitsstätte nach Hause zusammen

mit ihrem täglichen Lottoschein, einer Dose El Jay’s und einer Packung ‚White Light‘ gekauft hatte.

„Wie kamst du darauf? Ich hab’ nämlich die ganze Woche an Fleisch und Fisch gedacht. Essen

soviel man will! Oh, du machst mich aber glücklich.“

„Was ist das?“, fragte sie und begab sich zu der rosafarbenen Kuchenschachtel auf der Theke vor

ihrem Tisch.

„Leider ist dir schon jemand zuvor gekommen.“ Sie drehte sich um und lächelte in Richtung des

Kuchens. „Sag’ mal, Jim“, sagte sie mit einem Anflug von spitzbübischem Grinsen eines Knaben-


mädchens in ihren Augen, „wie wär’s mit einem Stück Kuchen? Es ist österreichischer Schokoladekuchen;

der ist wirklich wunderbar.“

„Ich weiss nicht.“ Er rieb sich den Bauch. „Ich hab’ auf dem Weg zur Arbeit gerade einige Frühlingsrollen

verzehrt. Aber lass’ mich den Kuchen auf jeden Fall sehen!“

Lächelnd öffnete Candi langsam die Kuchenschachtel und präsentierte stolz den köstlichen Inhalt.

„Wie findest du ihn?“

Die austretende Creme verstärkte noch sein samtartiges Aussehen. Die Schokolade und der

Zuckerguss liessen ihn angestrengt nach Eigenschaftswörtern suchen. Sein Kopf nahm die rötliche

Farbe einer halbreifen Tomate an. Der Unterkiefer fiel hinunter und ein merkwürdiges Geräusch entwich

dem hinteren Teil seiner Kehle. Die Augen verdrehten sich, als seine Knie schwach wurden.

Candi bekämpfte ihre Furcht und rann um ihren Tisch herum um ihm zu helfen. „Jim, Jim, alles

in Ordnung?“

Nach wenigen Augenblicken schweren Atmens konnte er ohne Hilfe aufrecht stehen. Er wischte

sich mit einem Taschentuch den Schweiss von der Stirn. Inzwischen war Candi zum Wasserkühler

gegangen und gab nun Jim einen Kaffeebecher voll kaltem Quellwasser. Er legte eine kleine grüne

Pille, die er einer kupfernen Medikamentenschachtel entnommen hatte, in seinen Mund und spülte

sie mit einem Schluck Wasser hinunter.

Die ersten Worte, die er murmelte, waren schwer zu verstehen, aber Candi verstand genug um

ihm mitzuteilen, dass ihr der Kuchen von Martin Griess geschenkt worden war. Er stöhnte, atmete

zweimal kurz ein und atmete Martin Griess’ Namen laut aus. Sie trat einen Schritt zurück; sie hatte

eine derartige Begeisterung nach seinem Anfall nicht erwartet. Verblüfft neigte sie den Kopf, runzelte

die Stirn und spitzte ihre mangoförmigen Lippen.

„Du kennst Martin Griess!“, rief er aus. „Wahnsinn! Ich glaub’, ich hab’ niemals einen solch lecker

aussehenden Kuchen gesehen. Er muss dein geheimer Bewunderer sein!“

Ihr Hals zog sich sofort zusammen, als sie daran dachte, ob er etwas an ihr bemerkt hatte, das

darauf hinwies, was sich soeben ereignet hatte.

„Jim!“ Sie versuchte das Thema zu wechseln. „Wie kam es, dass du fast eingeschlafen warst?“

„Es hatte einige Nebenwirkungen gegeben, sodass auf andere Medikamente umgestellt werden

musste. Jetzt breche ich in ungewöhnlichen Situationen zusammen, zum Beispiel, wenn ich hungrig

bin oder wenn kaltes Wasser auf mich spritzt.“

„Ich verstehe. Woher wusstest du eigentlich, dass Tulpen meine Lieblingsblumen sind?“

„Ich wusste es nicht. Du hast so ein sonniges Gemüt. Du kennst also Martin Griess.“

„Ja, und er wartet auf dich im Büro.“ Sie zeigte die Halle entlang.

„Schau’ dir diesen Kuchen an. Mein Gott!“ Er wischte sich seinen Nacken mit einem Taschentuch,

bevor er es in seiner Brusttasche zurück steckte. „Wirklich beeindruckend.“

Candi nickte nur und schaute weg. Nach und nach wurde ihr klar, worauf er mit seinen Fragen

hinaus wollte und wurde etwas unsicher, als sie sich eine mögliche komplizierte Situation so früh am

Morgen vorstellte.

„Nun, wenn man einen solch Kuchen sieht.“ Er blickte auf die dunkelbraune Masse. „Er schätzt

dich sehr. Wie oft siehst du ihn denn?“

„Nicht sehr oft.“ Sie errötete und wünschte, er würde aufhören, ständig das Wort Kuchen und nicht

das Wort Tulpen zu erwähnen.

„Wie oft?“, fragte Jim in unnachgiebigem Ton.

„Vielleicht zweimal in der Woche.“ Sie hatte gehofft, dass sie das Jim gegenüber nie würde

zugeben müssen. „Vielleicht zweimal.“ Sie bedauerte diese Aussage sofort, führte eine Hand zum

Mund, schüttelte den Kopf und glaubte nicht, dass sie ihm das aus freien Stücken mitgeteilt

hätte, was sie wahrscheinlich bald bedauern würde. „Ich verstehe, Jim“ Sie war kurz vor einem

Geständnis.


„Grossartig! Ich kann’s kaum glauben. Der beste Werbefachmann im Valley und du kennst ihn

schon.“

„Oh, nein, Jim!“ Sie hoffte, jemand würde gerade anrufen und sie rasch ablenken. „Ich weis nicht

viel über ihn, denn erst kürzlich habe ich ihn kennen gelernt.

„Candi!“, sagte sie und schüttelte den Kopf. „Mensch, du Glückspilz! Du kennst ihn so gut, dass er

dir sogar einen ganzen Kuchen schenkt, und was für einen! Der muss speziell für dich hergestellt

worden sein. Solche werden nicht mehr gebacken; aber früher auch nicht.“

„Rede nicht mehr davon!“, sprach sie leise zu sich selbst und fiel in den Bürositz zurück. „Gut,

Jim.“ Sie war bereit auszusagen.

„Nun ja, wir haben in den letzten Monaten zusammengearbeitet. Er ist sehr fähig.“

„Ja, ich weiss.“

„Ach, du hast gerade Kaffee gebrüht.“ Er lief hinüber zur Getränketheke. „Möchtest du eine Tasse?“,

fragte er, während er sich selbst eine einschenkte. „Du trinkst ihn mit Sahne und Zucker, oder?“

„Oh!“, brummte sie, während sie überlegte, wie schnell sie reagieren könnte, falls er Kaffee auf

sie schütten würde.

„Was soll diese Metallwanze auf der Kaffeemaschine?“

„Die ist von …“ In der Mitte des Satzes stampfte sie mit einem Fuß auf um nicht ein Geheimnis zu

enthüllen. Sie ist ein guter Talisman, aber niemand will sie. Schon seit Monaten liegt sie dort. Hast du

sie denn nie gesehen?“

„Mensch, das ist ja klasse.“ Er kehrte zu Candis Tisch zurück und stellte sie und einen Becher mit

den Inschriften Candi und Liebe, einem weiteren Geschenk von Martin, auf die Theke neben den

Schokoladekuchen.

Candi schaute langsam auf und bedauerte den Anblick all der Geschenke, die vor ihr lagen als

Beweisstücke für ihr Vergehen. Sie rollte mit ihrem Bürostuhl hinüber zum unteren Schubfach des

Aktenschrankes und holte die Pappteller und das Kuchenmesser zurück, legte die Partygegenstände

auf den Tisch und sann darüber nach, ob es wirklich eine so gute Idee gewesen war Jim den Ehrendienst

zu überlassen.

„Warum blinken ihre Augen? Ist sie eingeschaltet?“

„Ich weiss nicht. Sie ist lebendig, vermute ich …“

„Meinem kleinen Mädchen würde sie gefallen.“

„Dann nimm sie mit!“

„Von wem stammt sie?“ Er steckte sie in seine Tasche.

„Sie kam mit der Post und ist ein Werbegeschenk einer Pestizidkontrollfirma.

„Du weisst …“, sagte Jim, als er das Messer ergriff, es von seiner Papierscheide befreite und zwei

Stück Kuchen schnitt, „dass Martin Griess einen Wirtschaftspreis von der Handelskammer Fresno

erhalten wird?“ Er schnitt ein Stück Kuchen aus der ovalen Form und legte es sorgfältig aufrecht auf

einen dünnen Pappteller vor Candi auf die Theke. „Er ist der für die Rettung des Rosinenfestes

Zuständige, der Realife überzeugen muss den Vertrag zu unterschreiben.“

„So, ja, er hat mir davon erzählt.“

„Oh, ja?“ Er stellte den zweiten Pappteller unter den Rest und drehte die Schnitte einfach um.

„Ich war nicht einverstanden und sagte ihm, dass sich aus einer ehemaligen netten kleinen Landmesse

eine Marktgoldgrube entwickelt hätte, die vorwiegend dem Genuss von Edelgourmets dient.“

„Sie ist überhaupt keine Messe mehr. Der Verwaltungsbezirk war bankrott und brauchte eine

Lösung.“ Er war dabei ein weiteres Stück zu schneiden. „Hatte Mr. Griess schon Kaffee und Kuchen

bekommen?“

„Das sagte er. Ich glaube ja. Zwei Löffel Zucker.“

„Du weisst viel über Mr. Griess. Es würde mir nicht missfallen, ein weiteres Stück zu bekommen.

Du hast von dem neuen Betrieb in Sacramento gehört.“ Er lehnte sich über die Theke und sprach


leiser: „Ich habe mit Mr. Thorndorn gesprochen. Heute werde ich ihn fragen, ob er sich unserem

Team anschliessen würde. Deshalb war er schon früh da.

Er kommt in einer halben Stunde.

„Ist das so?“ Candi wurde allmählich klar, dass seine Fragestrategie nicht auf ihr Liebesleben, sondern

auf Martins Karriere zielte.

„Es wäre eine riesige Überraschung, wenn ich den Jungen mitteilen könnte, dass Mr. Griess für

Realife arbeitet.“, sagte er triumphierend und leckte sich die Finger ab.

Candi hatte sich schon um die Übernahme in den neuen Betrieb beworben. Ihr Gehirn arbeitete

wie wild und sie stellte sich sofort lebhaft vor, wie Martin seine Frau verlassen und ein neues Leben mit

ihr im Delta beginnen würde.

„Verdammt, dieser Kaffee ist aber stark! Mensch, Candi, hast du die halbe Tüte hineingeschüttet?“

Candi lächelte etwas gezwungen, ohne jedoch zu antworten.

Jetzt fällt mir ein, dass ich normalerweise nicht in die Nähe der Kaffeemaschine gehe. Er kehrte

zurück um Kaffeeweisser dazu zu geben.

„Nun Jim, für welche Tätigkeit stellst du Mr. Griess ein?“, fragte sie voller Neugierde auf ihre mögliche

Zukunft.

„Guten Morgen, Mrs. Powers.” Mr. Thorndorn lief flink in den Bürovorraum, wobei er fast mit Mr.

Cole zusammen stiess, der mit einem vollen Becher an den Tisch zurückkehrte.

„Guten Morgen,“ sagten beide und Jim sprang zur Seite um auch nicht einen Tropfen zu verschütten.

„Entschuldigung, Jim, hast du Mr. Griess schon gesehen?“

„Er ist in meinem Büro. Ich gehe sofort zu ihm.“

„In einer halben Stunde werde ich da sein.“ Er wandte sich Candi zu. „Hat Mr. Pickel schon die

Donuts gebracht? Was liegt denn da auf deinem Tisch?“

„Das ist von Mr. Griess. Möchtest du etwas davon?“ Sie reicht ihm das schon abgeschnittene Stück,

das ursprünglich für sie gedacht war.

„Heute ist ein Ehrentag für Empfangsdamen.“ Jim schnitt bereits ein Stück für sich ab. Als er das

aus dem kleiner werdenden Schokoladewunder auf seinen Pappteller gleiten liess, beschmierte er

versehentlich seinen Sakkoärmel mit etwas Glasur.

„Ach ja.“ Er blickte Jim an. „Laden wir Mrs. Powers zum Mittagessen ein?“

„Ich habe im Joe Sun’s reservieren lassen.“

„Gut.“

Candi hörte einen Anruf und antwortete mit dem üblichen Gruss. „Mr. Thorndorn?“ fragte sie,

wobei sie ihren Chef zur Bestätigung anschaute. „Ja, er ist da. Darf ich fragen, mit wem ich spreche?

Einen Augenblick, bitte.“ Sie drückte die Sperrtaste.

„Möchten Sie das Gespräch hier führen?“ Sie nahm einen Hörer ab.

„Ja, geben sie ihn mir! Wer ist dran?“ Ohne auf die Antwort der Empfangsdame zu warten, hielt Mr.

Thorndorn den Hörer an sein Ohr.

„Hier spricht Mr. Thorndorn.“ Einen Augenblick herrschte Schweigen, bevor eine leise und gedämpfte

Stimme am anderen Ende der Leitung langsam folgendes äusserte: „Im Gebäude Nr. III

wurde eine Bombe niedergelegt, die um 13:00 Uhr explodieren wird. Wir sind die Opportunists.

Fahren Sie nicht in die Hauptstadt! Achten Sie auf Geld!“ Der Anruf war beendet.






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