05. gleicher unterschied

05. gleicher unterschied


Noch starren Blicks und tiefer in ihre Apathie eintauchend verrichtete Dee ihr tägliches Ritual. Aufstehen zu unterschiedlicher Zeit. Sie verliess ihr Bett gewöhnlich dann, wenn sie nicht mehr zu schlafen vermochte, bereitete eine Tasse Kaffee aus gefriergetrocknetem Pulver zu, fütterte die Katze, las die Zeitung ‚Fresno Bee‘, versuchte das ‚Wee-Jumble‘-Kryptogramm-Puzzle zu lösen and dachte an ihre Morgengymnastik, während sie sich dem Patiencespiel ‚Solitär‘ widmete und die Lieferung der Post erwartete.


Nach dem Höhepunkt des Tages fand das Mittagessen statt, gab es einen Grund dafür, mit dem Auto irgendwohin zu fahren, etwas für den Haushalt Notwendiges zu besorgen, Martins Anzüge von der Reinigung abzuholen oder in der Gärtnerei vorbeizuschauen oder bei den Nachbarn; danach wurde das Abendessen eingenommen. Lokale und überregionale Nachrichten um sechs, ein Glas Wein, Hauptfernsehzeit, Imbiss am frühen Abend, nochmals Rotwein, Imbiss am späten Abend, Nachttalkshow, spätes Zubettgehen.


Dee sass auf der Toilette um ihren Darm zu entleeren und wunderte sich, ob der zu hörende Lärm bedeutete, dass intergalaktische Vibrationen die Katze anspornten um das Haus zu jagen. Sie beugte sich nach vorn, hielt ihren Arm um ihr Gesäss und wischte ihre Rosette von hinten nach vorn ab. Greifen, ziehen, halten und wischen, ein neues Knäuel vierlagigen Toilettenpapiers notwendig für jedes Wischen. Ohne das letzte Knäuel ‚Charmon‘-Toilettenpapier anzusehen, erhob sie sich, liess den Deckel herunter und spülte. Mit den Jahren war ihr morgendliches Schönheitsritual immer zeitaufwändiger und komplizierter geworden umgekehrt proportional zu der Zahl der Menschen, die sich um das Endergebnis kümmern würden. Heute aber entschied sie sich nur zu duschen. 


Dees Bedürfnis war sich gründlich von sämtlichen Bakterien zu befreien, von Sand und jeglicher Schmutzschicht, die sich allesamt seit ihrer letzten Reinigung auf ihrem Körper angesiedelt halten. Dies war ein Überbleibsel aus der Zeit des Lebens auf der Farm, als Schmutz eine ständige Bedrohung darstellte.


Sie legte die Kleidung ab, drehte die Dusche auf und sang eine Melodie, an die sie sich aber nicht mehr ganz deutlich erinnern konnte. Erst als das Wasser die richtige Temperatur erreicht hatte, betrat sie die Kabine. Mit dem unterschiedlichen Strömen des Wassers aus der Vier-Geschwindigkeiten-Aqua-Brush-Duschbrause, das kaskadenähnlich an ihrem Körper herunterrann, rockte sie hin und her, wobei sie die verstümmelte Melodie summte. Nach eingehender Überlegung wählte sie den ‚Pretty-Maid‘-Körperemulgator aus dem Angebot an Badegels, Gesichtswässern und Haarpflege- und Tönungsmitteln aus, die am Rand der Duschkabine aufgereiht standen.


Dee hatte von ihrem Vater die Neigung geerbt, auf dem Kopf überm.ssig zu transpirieren. So fühlte sie sich gezwungen, täglich ihre Haare zu waschen, so dass sie nicht die Form eines nassen Mopps annehmen würden. Schon wenige Tropfen vom wunderbaren ‚Dr.-Bonner-Allzweck-Shampoo‘ genügte. Nachdem sie vorsichtig ‚Lorial-Pearl-Drops‘-Haarpflegemittel in die Haarspitzen gekämmt hatte, nahm sie ihre wöchentliche ‚Booty-Shoppe‘-Himbeerdusche trotz der schlechten Testergebnisse. Jenes allgemeine Gefühl der Frische konnte nur von innen kommen.


Die Sicht im Badezimmer tendierte gegen Null, als sie die Kabine verliess. Sie tupfte sich mit einem riesigen flauschigen Badetuch trocken, setzte sich auf einen Schminkkommodenhocker, trug reichlich besonders intensive ‚Mary-Kate‘-Feuchtigkeitscreme auf Arme, Beine und das kreppartige Dekolletee auf und verschloss die Schweissdrüsen in ihren Achseln mit ‚Lady-Kate‘-Deodorant. Sobald ihre natürlichen Körperdünste maskiert worden waren, entfernte sie mit ihrem Handtuch den

Niederschlag auf dem Spiegel und betrachtete ihr Gesicht sehr eindringlich.


Eine Partie ihrer Gesichtsmuskulatur liess erkennen, wo ‚B.Loader‘-Antifaltencreme-Behandlung erforderlich war. Dann erfolgte die Anwendung eines Sunblockers, dessen Grundsubstanz von den Nestlé-Kosmetikern speziell für ihren Hauttyp ausgesucht worden war, und die eines Anti-Aging-Puders. Den Jahreszeiten entsprechend wechselte ihre Gesichtfarbpalette. Im Frühling verlieh sie ihren Augen eine Blauschattierung, tauchte ihre Lippen in glänzendes Rot, und ihre Wangenerglühten rosenfarben. Ihr professionell gefärbtes und geglättetes Haar wurde für zwanglose Frühjahrsaktivitäten zu Bommeln geformt, wodurch ein einfaches Flockenbürsten möglich wurde. Von

den Parfumflaschen auf einem Spiegelbord neben dem Spülbecken wählte sie ihr Standardexemplar ‚MeMe by Lovan‘ aus.


Nach vollendeter Toilette verharrte sie starr in den Spiegel blickend und war unversehens überwältigt von einem ungewöhnlichen Eindruck des Mangels an Attraktivität. Sie ergriff die Dose Lysol-Raumdeodorant, die ganz in der Nähe befindlich für solche Momente des Selbsthasses bedeutsam wurde, schritt unbekleidet aus dem Badezimmer und versprühte weiter Desinfektionsmittel, um ihre Unsicherheit zu verbergen.


Auf dem Weg durch das Haus erspähte sie plötzlich die erbrochenen Reste von Sisis letzter Mahlzeit auf ihrem wunderschönen orientalischen Landschaftsteppich. Angewidert besprühte sie den Schmutzfleck mit Lysol und holte einen Wattebausch von ‚Quilted-4-Ply‘ aus dem Bad. Dort spritze sie sich etwas ‚MeMe‘ unter die Nase, um die Intensität dessen, was sie bald aufwischen würde, zu dämpfen. Dee war nicht unerfahren darin, ekelerregende tierische Körperflüssigkeit zu entfernen und verstand genau, was zu tun war, um den Teppich in seinen makellosen Ursprungszustand zurückzuverwandeln.


„Ich mach’ mir keine Gedanken, weil ich es nicht nötig habe“, erinnerte sie sich, als sie neben Sisis halbverdautem ‚Kitty Chow Down‘ kniete und mit dem zerknüllten Papier dagegen klopfte. Sie sann lieber darüber nach, was sie an dem Tag noch würde tun können. Kaffee, Karten, Medikamente, Post, Internet, Sally im Fernsehen und danach, ‚Let’s Make It Happen‘. Dann würde sie um drei entscheiden, welche Freunde sie besuchen, in welches Einkaufszentrum sie gehen würde und was es zum

Abendessen geben könnte.


Sie warf das schmutzige Knäuel in das Toilettenbecken, spülte und kehrte zurück um ihr bevorzugtes Haushaltsdesinfektionsmittel zu versprühen. Sie betrat die Vorratskammer, öffnete einen Schrank und liess ihren Blick über die einsortierten, verbesserten und frisch duftenden Haushaltschemikalien schweifen. Diese standen sämtlich in alphabetischer Ordnung aufgereiht, von dem unterschätzten pilzförmigen ‚Airsick-Solid‘-Raumdeodorant bis zum ‚Zuff-Heavy- Duty‘-Fleckentferner. Letzterer stellte ein kräftiges Wäschereinigungsmittel dar, das nach Dees Erfahrung wirkungsvoll Ungezieferflecken von ihrem Betonweg zu entfernen half. Sie hatte Mutter Steward von ihrer wundersamen Entdeckung berichtet und satte 25 Dollar als Online-Krediterhalten.


Ausgerüstet mit einer Dose ‚Totally Loyal‘-Teppichshampoo und einem Gratisexemplar von ‚Let It Be Fresh!‘-Teppichpulver, das ihr zugesandt worden war, kniete sie nieder und verwendete reichlich Shampoo, das über dem Fleck mächtig aufschäumte. Entsprechend der Gebrauchsanweisung sollte man zehn Minuten warten, damit die aktiven chemischen Bestandteile auch zur vollen Wirkung gelangen konnten, so dass genügend Zeit zum Anziehen blieb.


Sie liess die Reinigungsmittel auf dem Teppich stehen und begab sich in den begehbaren Schrank im Hauptschlafzimmer. Sie nahm einen ‚Victoria Crossheart‘-Büstenhalter von dem Stapel Unterwäsche aus dem oberen Fach ihres Toilettentisches, legte ihn an, zog ihn zurecht und schlüpfte in das passende weisse Unterhöschen, das in einem anderen Fach lagerte. Gelangweilt zog sie einen blauen Berrmudahosenrock und eine mit Rosenblüten bedrückte Tunika an.


Mit rosafarbenen Gummihandschuhen, einer Rolle Haushaltstücher und einem unter dem

Küchenausguss stehenden Tupperware-Eimer kehrte sie ein drittes Mal zu dem Flecken zurück. Fast die Hälfte der Papierrolle wurde verbraucht, um Essensreste und Teppichstoff voneinander zu trennen. Nachdem sie schliesslich die feuchte Stelle mit ‚Let It Be Fresh!‘ besprenkelt hatte, stand sie auf mit der Genugtuung, den Flecken früh genug bemerkt und völlig neutralisiert zu haben.


Nach einem letzten Druck auf die Lysol-Sprühdose stellte sie die Reinigungsutensilien an ihren Platz zurück und leerte den Eimer in der Garage. Danach zog sie den Staubsauger aus dem Dielenschrank, rollte ihn in die Mitte des Wohnzimmers und begann Staub zu saugen. Das leicht pulsierende Summen des Motors und die wiederkehrenden Handbewegungen veranlassten sie über ihren uralten Teppich nachzusinnen, einen Gegenstand, den sie nie auszutauschen gewagt hatte.


So wie das Heiraten und Kinderhaben zur Routine geworden war, gelangte Dee eines Tages zu der Auffassung, dass zu jedem Haus ein orientalischer Teppich gehörte. Kurz danach bot zufällig ein Handlungsreisender Teppiche der Marke Woolyon an, deren bemerkenswert fleckenresistentes Wundermaterial von Lepont stammte. Sie erinnerte sich daran, wie erstaunt sie war, als der Vertreter ein Stück des Heidelbeerkuchens, den er verzehrte, abbrach und auf das mitgebrachte Probestück des Teppichs schmierte. Er wischte dann den blauen Fleck mit einem Papiertuch ab. ‚Der Fleck wurde

weggehext‘, war sein Spruch.


Nach zahlreichen Beratungen wählte sie ein ihr vertrautes orientalisches Motiv aus hunderten verfügbarer Muster aus. Schliesslich entschied sie sich für die Farben Avocado, Beige und dunkles Orange nachdem er ihr wegen ihrer Kleidung Komplimente gemacht hatte. Sie küssten sich dann zum ersten Mal. Der Transport aus Asien hatte sechs Monate gedauert, und er kam regelmässig vorbei, um ihr über den jeweiligen Stand zu berichten. Er kam zum letzten Mal an dem Tag, als der Teppich geliefert wurde. Sie wussten beide, dass die Transaktion zwischen ihnen damit beendet war.


Martin war mit dem Teppich zufrieden, bis er einige Wochen später die Rechnung erhielt. Gleich am nächsten Tag fuhr er auf dem Weg zum Besuch der Staatsmesse in Sacramento ein kleines Kind an, das einen komplizierten Beinbruch erlitt. Drei Tage lag er dann im Koma und wachte nur manchmal auf mit der Bitte, dass der Zauberstab in den Wunderwald zurückkehren könnte. Seitdem hatte er das Teppichthema nie wieder angeschnitten und sie hatte seinen Austausch nicht erwähnt. Sie schaltete den Staubsauger aus und blieb in der Mitte des Wohnzimmers stehen. Beruhigt durch die

sie umgebende avocadofarbene Wand streichelte sie ihre Fusssohlen auf dem wollenen Fussboden und empfand, dass der Teppich mit ihr sprach und ihr Geschichten aus seinem Leben erzählte, etwa wie er Biancas und Denvers Aufwachsen und ihren Abschied vom Haus überlebt hatte and fleckenlos geblieben war.


Dee war stolz auf Bianca, ein ehemaliges Sektenmitglied, das nach erfolgreicher Konversion eine erstklassige ‚Mary Kate‘-Vertreterin geworden war und zusätzlich ein Catering-Unternehmen betrieb. Obwohl geschieden und kinderlos wurde ihr vor kurzem wegen ihres hervorragenden Verkaufserfolges ein rosafarbener Cadillac geschenkt.


Ihr jüngeres Kind, Denver, hatte der Familie Schande bereitet, da er homosexueller Künstler und Kommunist wurde. Arm und mit schrecklichen Schlafgewohnheiten, sprach er sehr gern über seine Darmbewegungen und den Gebrauch illegaler Drogen, und dies besonders bei Familienausflügen. Die Bedeutung dieser Dinge verstand Dee nicht und sie hatte Skrupel ihr Nichtwissen und ihre Geringschätzung dieses Lebensstils zu zeigen. Sie konnte einfach nicht begreifen, dass sie einen Asphaltliteraten und Nichtsnutz gross gezogen haben konnte, der freiwillig zugab genüsslich ein Schmarotzer der Gesellschaft zu sein.


Sie liess den Staubsauger im Wohnzimmer und beschloss spontan ihr Lieblingskind anzurufen. Dee benutzte nämlich das Telefon zur Gedankenerweiterung. Wenn sie auch nichts Besonders mitzuteilen hatte, ausser, dass sie gerade bemerkt hatte, ihre ‚Glamette‘-Body-Lotion würde bald aufgebraucht sein, redete sie trotzdem mit ihrer Tochter weiter Unsinn, bis sie sich plötzlich an die noch zu bewältigende Hausarbeit erinnerte. Abrupt zog sie den Hörer von sich fort und sagte, sie sei gerade beim Staubsaugen und legte auf.


In der Küche liess sie zwei Teelöffel gefriergetrockneten Gourmetkaffee und einige kalorienarme Zuckerersatztabletten in einen Becher fallen und stellte ihn in den Mikrowellenherd. Bevor sie den Staubsauger wieder an seinem Stammplatz verstaut hatte, blickte sie auf die Stelle, wo sich das Erbrochene des Kätzchens befunden hatte und war zufrieden es entfernt zu haben. Die Mikrowelle piepte, als sie die Dielenschranktür schloss. Die Arbeit im Haus war beendet. Der Kaffee war fertig. Dies war der ideale Zeitpunkt mit der nächsten Aktivität zu beginnen.


In der Frühstücksnische sitzend mischte Dee den Stapel Karten und setzte dies bewusst fort im Glauben, das Gewinnen würde dadurch erschwert. Nachdem sie ihre erste ‚Virginia Svelte‘ angezündet und einen Schluck Kaffee getrunken hatte, schloss sie den Vorgang ab, tippte dreimal mit ihrem linken Zeigefinger auf den Stapel und begann Patience zu legen. 


Vor Überraschung stiess sie einen spitzen Schrei aus, als eine Karte nach der anderen ausgespielt worden war, und innerhalb weniger Minuten hatte sie die Karten zusammen und gewonnen. Dieser überraschende Sieg – ein seltener Fall – versetzte Dee in einen lang anhaltenden Zustand der Überlegung darüber, was sie demnächst würde tun können.




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